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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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waren, hatte sie Großvater verständigt. Und der hatte Lunas Vater angerufen, der gerade mit seiner Frau von der Kirchenbesichtigung zurückgekommen war. Die beiden überschütteten uns mit Vorwürfen.
    Lunas Vater verabschiedete sich von Großvater. Isacco wartete mit uns an der Autobahnauffahrt auf Irenes Eltern.
    Es war kein guter Moment, um sie an die Einladung zum Mittagessen zu erinnern.
    Schweigend kehrten wir nach Hause zurück.
    Nach dem Vorfall in der Grotte zog sich der August endlos hin. Ich bestieg den Monticello, um mit meiner Mutter und meinem Vater, der die Isolierstation inzwischen verlassen durfte, SMS -Botschaften auszutauschen.
    Die knappen Botschaften meiner Mutter lauteten stets:
    Es geht langsam bergauf. Wir müssen einfach Geduld haben. Ich hab dich lieb.
    Die meines Vaters waren sarkastisch und aufregend:
    Letzte Bastion Marescotti-Klinik: Es folgt ein Bericht von der fünf Jahre währenden Entdeckungsmission des Raumschiffs Montelusa, immer unterwegs zu neuen Welten, auf der Suche nach neuen Lebensformen und Zivilisationen – und das an Orten, wo noch nie zuvor ein Mensch gewesen ist.
    Wie gern wäre ich mit dabei, Papà!
    Gut, worauf wartest du?
    Beam mich hoch, Scotty.
    Irene besuchte uns noch einmal, bevor sie wieder fuhr. Sie trug eine kurze rote Hose, ein weißes T-Shirt und eine Kette aus bunten Plastikmargeriten: kein hellblaues Kleid und kein weißes Haarband.
    »Darf ich dich mal was fragen?«
    »Klar.«
    »Warum hast du dich so angezogen?«
    »Das waren Kleider von meiner Oma, die ich bei meinen Cousins in einer Truhe gefunden habe. Ich besitze zwei davon, sie sind identisch. Ich trage sie nur, wenn ich hier bin. Ich weiß nicht mal, warum.« Sie drehte eine Pirouette. »Ich mochte meine Oma sehr, konnte aber nur wenig Zeit mit ihr verbringen. Wenn ich sie trage, fühle ich mich ihr nahe.«
    »Dann spürst du sie am Körper.«
    Ihr aufrichtiges Lächeln, das ohne jede Vorankündigung ihr Gesicht erstrahlen ließ, zwang sie, sich die Augen zuzuhalten, so als wäre sie von sich selbst geblendet. »Das trifft es genau!«, sagte sie.
    Mist!, dachte ich, das ist eine tolle Figur, ich darf nicht vergessen, sie zu zeichnen!
    »Jetzt lasse ich die Oma hier zurück«, fuhr sie fort. »Und wenn ich zurückkomme, finde ich sie wieder vor.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich.
    Ich begann erneut zu zeichnen, denn viel mehr konnte man nicht tun. Um die Apathie und Trägheit zu verbannen, die mein Aufenthalt in Colle Ferro mit sich brachte, brauchte ich Klarheit, Grenzenlosigkeit. Deshalb nahm ich mir einen durch die Luft sausenden Silver Surfer vor, umgeben von nutzlos gewordenen Satelliten und anderem Weltraumschrott. Denn eines hat mir an Silver Surfer immer ganz besonders gefallen: Im Gegensatz zu anderen Superhelden, die bereits so zur Welt kommen oder durch einen Unfall dazu werden, ist er es freiwillig: Norrin Radd hat sich geopfert. Um seinen Planeten Zenn-La vor Galactus zu retten, hat er sich bereit erklärt, sein Herold zu werden. Freiwillige Selbstaufopferung: tun, was man will, weil man es für richtig hält, selbst wenn man sein Leben dafür gibt.
    So etwas schwebte mir auch für Shukran vor, aber wie sagte Roberto bei unseren Arbeitstreffen in der Trattoria La Maggiore so schön: Zu viele messianische Züge würden unsere Figur bloß überfrachten.
    »Er soll doch von dieser Welt sein«, so Roberto. »Die Menschenrechte sind universell. Dass die Religionen sie weiterentwickelt haben, freut mich. Aber ein Patent haben sie nicht darauf.«
    Eines Abends nach dem Essen setzte ich mich, um eine zerbeulte Satellitenschüssel in Hulks Hand zu kolorieren, als Großvater gestand, er habe als Junge auch gern gezeichnet.
    »Echt?«
    »Ich habe gemalt und sogar meine eigenen Ölfarben angerührt.«
    »Du hast Farben hergestellt?«
    »Wieso wundert dich das?«
    »Könntest du das heute auch noch?«
    »Ich denke schon. Ich weiß noch, dass man Leinöl dafür braucht, Zinkoxid für Weiß, Kadmiumsulfat für Gelb und Rötel für Rot. Ich könnte es versuchen.«
    »Worauf hast du gemalt?«
    »Auf Leinwand, was sonst? Auch die habe ich selbst hergestellt. Ich habe Hanf- oder Baumwollgewebe sowie Holz für den Keilrahmen gekauft. Das war ein schönes Hobby.«
    »Wollen wir es mal versuchen?«
    »Was?«
    »Ölfarben anrühren?«
    »Na ja, ich habe die Materialien nicht vorrätig. Ich wüsste nicht, wo …«
    »Morgen früh«, sagte ich. »Morgen früh können wir sie kaufen. Es wird hier

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