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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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schmuddeligen Schnürsenkel seiner Turnschuhe.
    »Ich auch nicht. Ich hab die von Großvater anprobiert, aber die sind riesig.«
    »So!«, sagte Isacco und setzte den Helm auf. »An dem schlagen sich die Fledermäuse die Krallen aus.«
    »Aber gegen Spinnen hilft der auch nicht«, verkündete Irene.
    Isacco wurde blass. »Spinnen?«
    »Kleine haarige Lebewesen mit zahlreichen Beinen.«
    »Jetzt sag bloß nicht, du hast Angst vor Spinnen!«, rief ich.
    »Ich habe Todesangst vor Spinnen.«
    »Wir haben nur noch eine knappe Stunde«, erklärte Luna und schaltete ihre Stirnlampe ein. »Gehen wir?«
    Wir nahmen ein Seil. Es war viel länger als das, das ich beim letzten Mal benutzt hatte. Wir banden es um einen Baum. Irene, die ohnehin nicht mitkommen wollte, sollte aufpassen, dass es sich nicht durch einen plötzlichen Ruck löste.
    »Wir könnten es an ihrem Knöchel festbinden«, schlug Isacco vor.
    Ich betrat als Erster die Grotte, dann kam Isacco, und Luna bildete das Schlusslicht. Die Kanten, Spalten und Vorsprünge des Bergs waren nur verschwommen zu erkennen. Die Stirnlampen warfen ein trübes Licht in die feuchte Grotte, und wir mussten uns mehrmals umsehen, um uns einen Überblick zu verschaffen. Wir nahmen den ersten Gang. Luna rollte als Letzte das Seil ab. Der Eingang war enger, als ich ihn in Erinnerung hatte, und von Finsternis erfüllt. Aber es gab den gleichen kalten Luftzug, der uns in den Berg drückte, die gleichen kleinen Lebewesen, die vor unseren Schritten flohen. Wir gingen etwa zehn Minuten lang schweigend weiter, bis Luna schließlich sagte: »Das Seil ist zu Ende.«
    »Schon?«
    »Ein Seil ist siebzig Meter lang.«
    »Knoten wir das nächste dran!«
    »Aber mit einem Englischen Knoten.«
    »Wir haben eine echte Höhlenforscherin dabei«, bemerkte Isacco.
    »Bist du sicher, dass der hält?«, fragte ich.
    »Klar.«
    Siebzig Meter weiter war auch das zweite Seil zu Ende.
    Luna wühlte in ihrem Rucksack. »Jetzt ist nur noch eines übrig.«
    »Danach sehen wir weiter«, sagte ich. »Knote es fest!«
    Wir stiegen weiter in die Tiefe. Keiner von uns hatte sich Gedanken über die Temperatur in den Grotten gemacht. Die Feuchtigkeit drang uns bis in die Knochen. Im Gehen schwitzten wir, aber sobald wir stehen blieben, verflüchtigte sich die Körperwärme, und Kälte kroch in uns hoch. Unser Atem sättigte die Luft mit Kondenswasser. Nach weiteren siebzig Metern war auch das dritte Seil zu Ende.
    »Und jetzt?«, fragte Isacco.
    »Jetzt legen wir es auf den Boden, und zwar so«, sagte Luna gelassen und ließ es auf den feuchten Boden fallen. »Auf dem Rückweg holen wir es dann wieder ab.«
    »Und wenn wir uns verlaufen?«
    »Wir gehen immer geradeaus«, sagte ich. »Nie um die Ecke. Und wir nehmen denselben Weg zurück, ohne abzubiegen.«
    »Was ist denn das?« Isacco brachte nur noch ein Krächzen hervor. »Da hinten hat sich was bewegt!«
    »Gehen wir!«, sagte Luna verächtlich. »Ich gehe vor.«
    Isacco erzählte, dass er schon immer Angst vor Spinnen gehabt habe, schon als kleines Kind, und dass die Albträume, die ihn nachts gequält hatten, von Unmengen haariger, verwester Lebewesen bevölkert waren. Was er so an Spinnen hasse, sei, dass man nie genau wisse, wo sie anfingen und wieder aufhörten. »Ein Puma ist gefährlich, aber da weiß man wenigstens, wo seine Beine anfangen und wieder aufhören, dass das sein Maul ist und das seine Krallen, ja, dass man aufpassen muss, nicht gebissen zu werden. Nicht so bei Spinnen, alles ist so winzig an ihnen, so schlecht zu erkennen: Wo sind die Augen, wo die Krallen … haben die überhaupt Krallen? Außerdem, wo ist sie? O Gott, sie ist weg! Bestimmt krabbelt sie gleich auf mir herum!«
    Während Isacco sprach, fiel mir die hässliche Kröte ein, die Krankheit, die einfach nicht zu fassen war. An sie dachte ich – oder versuchte vielmehr, nicht daran zu denken –, als der Gang endete: in einem riesigen Raum mit einer Wasserpfütze in der Mitte, gespeist von herabfallenden Tropfen, die von bizarren Kalkformationen an der Decke stammten. Das Licht aus unseren Lampen spiegelte sich überall.
    »Ist sie das?«, fragte Isacco.
    Luna suchte nach weiteren Gängen.
    »Das war’s«, stellte sie fest. »Hier geht es nicht mehr weiter.« Ich drehte mich im Kreis und folgte dem Lichtkegel, der von meiner Stirn ausging. »Das verstehe ich nicht. Das Geheimnis der Grotten, alle die Legenden, die sich um sie ranken, sollen in einem wenige hundert Meter langen Gang

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