Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
und einer Pisspfütze bestehen?«
»Wir haben uns reinlegen lassen!«, verkündete Isacco.
»Wir haben uns selbst reingelegt, Isacco«, sagte Luna. »Aber ich wär gern noch weitergegangen. Es hat Spaß gemacht.«
Sie drehte sich um. Ihr Licht fiel mir direkt in die Augen, und ich legte mir schützend die Hand davor.
»Entschuldige«, sagte sie und hob ein wenig den Kopf. »Kehren wir um?«
»Ja.«
»Wollen wir die Flaschen nicht mit dem Wasser füllen?« Isacco steckte prüfend den Zeigefinger hinein. »Was, wenn sie das ist, die Quelle?«
»Bedien dich, Isacco, sie gehört dir! Aber wenn du dann die ganze nächste Woche mit Dünnschiss auf dem Klo hockst, darfst du dich nicht bei uns beschweren.«
»Du bist ja ekelhaft!«
Während sie sich kabbelten, dachte ich: Ich habe immer gewusst, dass das Quatsch ist. Aber warum war ich dann so traurig? Ich betrat den Gang, aus dem wir gekommen waren. Luna folgte mir, Isacco hinkte hinterher.
Nach zehn Minuten Fußmarsch hatten wir das am Boden liegende Seil immer noch nicht erreicht.
»Hätten wir es nicht längst finden müssen?«
»Komisch!«, sagte Luna. »Dabei sind wir doch von hier gekommen.«
»Sind wir vielleicht in einen anderen Gang geraten?«, fragte Isacco. Ein Schritt war auf den anderen gefolgt, und der Fels war uns immer gleich vorgekommen. Die Furcht, uns verlaufen zu haben, war wie eine schnell wachsende Kletterpflanze. Dann tauchte plötzlich eine Weggabelung auf.
»Und das hier?«, sagte Isacco wütend. »Auf dem Hinweg gab es doch keine Weggabelung, oder?«
»Nein«, sagte ich.
»Zeno.« Luna trat neben mich. Mit einer kaum wahrnehmbaren Geste, die ich nie vergessen werde, nahm sie meine Hand und verschränkte ihre Finger mit den meinen. »So langsam bekomme ich Angst.«
»Ich glaube, wir sollten lieber umkehren.«
Kurz darauf – oder auch erst nach einer gewissen Zeit – fanden wir uns erneut in der Höhle mit der Pfütze wieder. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Eine starke Erschöpfung hatte von uns Besitz ergriffen. Ich wusste nur noch eines, nämlich dass ich Lunas Hand nie mehr loslassen würde.
»Setzen wir uns, und warten wir!«
Isacco baute sich vor mir auf. »Wir sollen uns setzen?«
»Was sollen wir sonst tun?«
»Was sollen wir sonst tun?«
»Warum wiederholst du meine Fragen?«
»Darum …«
Wir setzten uns auf den feuchten Fels. Lunas Stirnlampe wurde schwächer und verlosch, daraufhin wechselten wir die Batterie. Isacco ließ nicht locker und sagte, es sei Schwachsinn hierzubleiben. Wir müssten nach dem Ausgang suchen, niemand würde uns hier vermuten. Irene warte draußen auf uns, erwiderte ich.
»Die hat bestimmt schon Hilfe geholt, reg dich ab!«
Ich wollte gerettet werden, wollte Gewissheit, dass es die Welt der Erwachsenen tatsächlich gab und dass darauf Verlass war. Wir redeten über alles Mögliche. Eine banale Bemerkung genügte, und schon sprudelten Anekdoten aus der Grundschule oder aus irgendwelchen Ferien hervor. Als wir gerade darüber stritten, welche Spaßbad-Wasserrutsche die aufregendste war, hörten wir Stimmen. Sie wurden immer lauter, riefen unsere Namen. Dann sahen wir Lampen aus dem Gang auf uns zukommen.
»Da sind sie.«
»Papà!« Luna löste ihre Finger aus den meinen und rannte auf ihren Vater zu – eine Geste, die mir gleich doppelt wehtat. »Papà, es tut mir leid.« Sie umarmten sich und standen noch immer eng umschlungen da, als Luna sich bereits in ausgiebigen Erklärungen erging.
»Zeno.«
Ich starrte in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Opa!«, sagte ich. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich so überrascht, ihn hier zu sehen, dass ich gar kein schlechtes Gewissen hatte, ihm solch einen Schrecken eingejagt zu haben.
Er richtete die Taschenlampe auf den Felsen, damit der das Licht reflektierte. »Alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Was ist bloß in dich gefahren?«
Tja, was war bloß in mich gefahren? Was sollte ich darauf schon antworten? Am besten gar nichts. Ich hatte nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen. Im Gänsemarsch verließen wir die Höhle. Auf halber Strecke fanden wir auf dem Boden das Seil, und Lunas Vater rollte es auf. Ich sagte, das Ganze sei meine Idee gewesen, nahm alle Schuld auf mich, vor allem Lunas Vater gegenüber, der äußerst wütend war; nicht nur weil wir seine Warnung in den Wind geschlagen, sondern auch noch Onkel Alessandros Ausrüstung genommen hatten. Draußen wartete Irene schon auf uns. Als wir nicht wieder aufgetaucht
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