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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Doppelte. Sie bringen Ihre Kunden mit, und wir garantieren Ihnen neue Aufträge von unseren Bestandskunden. Damit ist uns allen geholfen. Haben Sie Kinder?«
    »Eine Tochter«, antworte ich.
    »Tun Sie es ihr zuliebe.«
    »Ich müsste nach Mailand ziehen, würde sie nur noch selten sehen. Ihr zuliebe müsste ich ablehnen.«
    »Da haben Sie recht. Aber wenn Sie am Wochenende mit dem Gehalt nach Hause kommen, das wir uns vorstellen, können Sie dafür sorgen, dass sie sich fühlt wie eine Prinzessin. Sie ist die Prinzessin und Ihre Ehefrau die Königin. Na, was sagen Sie dazu?«
    »Ich denke darüber nach und rufe Sie morgen an.«
    Beim Abendessen rede ich mit Elena darüber. »Man hat mir eine einmalige Gelegenheit angeboten.«
    »Was denn für eine Gelegenheit?«
    »Die Ferroni-Gruppe, die größte Unternehmensberatung Italiens, möchte mich einstellen.«
    Elena hört auf, das Fleisch zu schneiden. »Das ist ja toll, Simone!«
    »Aber ich werde nach Mailand gehen müssen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Von Montag bis Freitag. Außer wir ziehen alle um.«
    »Ich möchte nicht aus Turin weg, nicht jetzt, wo ich meine ersten Patienten habe.«
    »Im ersten Jahr werde ich vielleicht weniger verdienen als als Selbständiger. Dafür gibt mir die Gruppe Stabilität.«
    »Und was heißt das genau?«
    »Die Gruppe bietet mir Schutz.«
    »Das verstehe ich nicht. Du hast von einer Gelegenheit gesprochen, und jetzt sagst du, dass du fünf Tage die Woche von uns getrennt sein wirst und wir im ersten Jahr weniger Geld haben werden.«
    »Dafür gibt es die Gruppe«, erkläre ich.
    »Das verstehe ich nicht.«
    Agata ist gewachsen, sie geht in den Kindergarten. Sie verfolgt die Katze durch die Wohnung, die Nachbarn haben uns gebeten, sie während ihres Urlaubs zu nehmen. Sie heißt Cenere, weil sie aschfarben ist. Ich gieße ihr Milch in eine Schale. Elena räumt den Tisch ab. Während sie den Abwasch macht, gehe ich zu ihr und streiche ihr über den Rücken.
    Ich ziehe mich aus und schlüpfe unter die Decke. Elena legt Agata schlafen. Die Katze springt aufs Bett und leckt an meinen Ohren. Elena leistet uns Gesellschaft, ringelt sich neben mir zusammen, nimmt meinen Arm und sagt: »Ich vertraue dir. Tu, was du tun musst.«
    Bevor ich einschlafe, überlege ich, was mein Vater tun würde.
    » Schma Jisrael adonai elohejnu adonai echad «, sage ich.
    *
    Wir sind auf der Monatsversammlung des Alpenvereins. Der Vorstand stellt die Tour für das nächste Wochenende vor. Von der Machbarkeit der Exkursion ist die Rede, von der Hitze in letzter Zeit, vom Schnee, der schmilzt. Die Frau, die gerade spricht, hat eine deprimierende, einschläfernde Stimme. Ich beuge mich zu Elena vor und flüstere ihr ins Ohr: »Ich habe keine Lust auf diese Tour. Was hältst du davon, wenn wir nach Genua fahren und meine Mutter besuchen?«
    Elena nickt, auch sie neigt sich vor. »Ich habe gehofft, dass du das sagst.«
    Wir unterdrücken ein Lachen, verabschieden uns per Handschlag von unseren engsten Freunden, die versuchen, uns zum Bleiben zu bewegen. Wir schleichen uns auf Umwegen hinaus, um niemanden zu stören. Wir holen Agata bei Elenas Eltern ab. Sie schläft und hält Theo im Arm, die Puppe, die ich ihr von einer Polenreise mitgebracht habe. Ich hebe sie mit der Decke aus dem Bett.
    In Genua zeigen wir Agata nach dem Mittagessen Boote und Möwen. Meine Mutter hat sich bei mir untergehakt. Jedes Mal wenn ich sie sehe, wirkt sie noch ein wenig zerbrechlicher, aber auch wacher, bewusster. »Das Alter fördert die Konzentration«, sagt sie. »Man ist weniger abgelenkt, mehr bei sich, hat weniger Ausreden. Es gefällt mir, alt zu werden. Finde ich an manchen Abenden keinen Schlaf, laufe ich durch die Wohnung, lausche dem Echo eurer Stimmen, lege das Ohr an die Wände und höre die Worte und das Leben, das sie in all den Jahren in sich aufgesogen haben: Gabriele, der für die Schule lernt. Dein Vater, der nach einer seiner Reisen eine Stadt, ein Hotelzimmer oder ein Lokal beschreibt. Du, wie du mir Hemingway vorliest. Weißt du noch, dass du mir immer Hemingway vorgelesen hast? Wie hieß die Kurzgeschichte noch gleich, die dir so gefallen hat? Bist du je wieder in Ivrea gewesen? Bei deinen Freunden?«
    »Es ist schon lange her, dass ich das letzte Mal dort war. Ich bin nicht sehr gut darin, Kontakt zu halten. Bist du je wieder in Colle Ferro gewesen?«
    Sie bleibt stehen. »Warum fragst du nach Colle Ferro?«
    Ich zucke die Achseln. »Keine Ahnung, es ist mir

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