Der Sommer deines Todes
machen, wagte man vor fünfundsechzig Jahren ein brutales, aber äußerst wirksames Experiment und versprühte zehntausend Tonnen DDT auf der Insel. Kaum waren die Mücken ausgemerzt, kam der Tourismus in Schwung, und heute ist vor allem der Norden Sardiniens, wo Liz Braud ihr Hotel führt, der Treffpunkt des internationalen Jetsets.
Liz Braud. Ich kann es gar nicht erwarten, dieser Frau einen Besuch abzustatten, doch leider habe ich Mac versprochen, mich zu gedulden.
Auf dem Wecker, der auf der Kommode steht, ist es kurz vor acht.
Seit seiner Abreise hat Mac weder etwas von sich hören lassen noch meine Anrufe entgegengenommen.
Ich klettere aus dem Bett, putze mir im Badezimmer die Zähne und wasche mein Gesicht, füttere unten die Katzen, schnappe Handtasche und Wagenschlüssel und fahre in die Stadt.
«Die besorgte Mutter!» Enzio Greco erhebt sich von seinem Schreibtisch, kommt mir entgegen und schließt mich in die Arme, was bislang noch kein Polizeichef bei mir gemacht hat. Ich zögere kurz, bis ich seine Geste erwidere, und gehe sofort wieder auf Distanz, weil mir die Berührung unangenehm ist. Ja, ich bin eine besorgte Mutter, aber eben auch eine Privatdetektivin, die keine Umarmung von diesem weißhaarigen alten Mann will, sondern Informationen, Hinweise, Antworten, Ergebnisse. Und ich will meine Lieben zurück.
«Warum habe ich nirgends ein Vermisstenplakat gesehen? Und keine Meldung im Fernsehen? Was ist mit Dante Serra? Wir haben nichts von Ihnen gehört. Haben Sie in Erfahrung gebracht, wann er in unserem Ferienhaus war?»
«Bitte, setzen Sie sich.» Greco führt mich zu einem seiner Besucherstühle und ruft der Empfangsdame etwas auf Italienisch zu, die mir einen Moment später eine Tasse Espresso bringt. Das starke, bittere Gebräu brennt im Magen. Da ich keinen Appetit habe und gestern Abend nur ein paar Gabeln Pasta zu mir genommen habe, fürchte ich, dass mir der Espresso gleich wieder hochkommt. Ich stelle die Tasse auf dem Schreibtisch ab, hinter dem der Polizeichef sitzt und mich mustert.
«Geht es Ihnen jetzt etwas besser?»
«Ein bisschen», schwindle ich.
«Lassen Sie mich Ihnen erklären, was wir tun. Selbstverständlich haben wir die Fahndung eingeleitet. Die Plakate und Meldungen sind Ihnen vielleicht entgangen, weil Sie unserer Sprache nicht mächtig sind. Falls Sie uns ein Foto von Ihren Kindern und Freunden geben könnten, wäre das hilfreich, nicht wahr?»
«Warum haben wir das nicht schon bei unserem letzten Treffen erledigt?» Ich hole mein Handy heraus. Gestern hat mein Verstand vor lauter Panik nicht richtig funktioniert, aber wieso hat er nicht daran gedacht? Das gehört doch zum Standardverfahren. Ich schicke ihm drei Fotos von Mary und den Kindern, die er umgehend weiterleitet.
«Verstehen Sie jetzt, wieso es wichtig ist, dass wir zusammenarbeiten? Zwei Köpfe leisten mehr als einer, oder?»
Tatsache ist, dass ich ihre Namen auch auf einem italienischen Fahndungsaufruf erkannt hätte, doch darüber schweige ich mich aus. Er wird die Fotos jetzt unter die Leute bringen, was die Suche bestimmt beschleunigt. Dass man Enzio Greco wie ein Kind an die Hand nehmen muss, versetzt mich in Erstaunen. Wie hat es dieser inkompetente Großvater nur geschafft, Polizeichef zu werden? Und einmal abgesehen von seiner Umarmung, stört mich noch etwas anderes: sein starrer Blick, sein beinah aggressives, falsches Lächeln. Meine Vorbehalte behalte ich für mich, denn ich möchte auf gar keinen Fall dem Klischee des typischen Amis entsprechen, der aufgrund von Starrsinn, Penetranz und Egozentrik fast überall auf der Welt aneckt.
«Stimmt», pflichte ich ihm lahm bei.
«Sie haben mich nach Dante Serra gefragt. Tja, ich hätte Sie anrufen und beruhigen müssen, denn ihr Dante ist nicht Dante
Serra
.»
«Der Mann vom Schlüsseldienst im Carrefour hat etwas anderes behauptet.»
«Hat er Ihnen das so gesagt?»
«Ähm, nein, aber das konnte ich aus seiner Reaktion auf meine Frage schließen. Die Trauer um seinen ermordeten Kollegen stand ihm ins Gesicht geschrieben.»
«Sie müssen verstehen, dass wir Sarden sehr empfindsam sind. Wir nehmen großen Anteil am Leid unserer Mitmenschen. Was Sie aus der Miene des Mannes herausgelesen haben, war Mitleid mit einem anderen Sarden, mit dem Mitarbeiter eines anderen Schlüsseldienstes und nicht mit seinem eigenen Kollegen.»
«Nein, in diesem Punkt bin ich mir vollkommen sicher.»
«Bitte, Signora, bewahren Sie Ruhe. Ich versichere Ihnen,
Weitere Kostenlose Bücher