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Der Sommer deines Todes

Der Sommer deines Todes

Titel: Der Sommer deines Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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das ist wohl menschlich.
    Nur dass es mir so vorkommt, als hätten diese Männer es darauf angelegt, mich auszuschalten.
    Ungebeten kehrt die Erinnerung daran zurück: Wie es sich anfühlt, das Gaspedal voll durchzudrücken, wie ich damit rechne, sterben zu müssen, falls die Kupplung bei hundertfünfzig Kilometern pro Stunde den Geist aufgibt. Das Zittern wird stärker. Ich schließe die Augen und bemühe mich redlich, nicht länger an diesen entsetzlichen Zwischenfall zu denken. Ich muss den Blick nach vorn richten, mich darauf konzentrieren, Mary und die Kinder zu finden.
    Haben sie sich verirrt? Versteckt? Hat ihnen auch irgendetwas Angst eingejagt? Ist ihnen etwas zugestoßen? Und was ist mit Dante, dem Mann vom Schlüsseldienst – warum wurde er ermordet? Ich muss an die Millerhausens und Macs Theorie denken, dass das Verschwinden unserer Lieben etwas mit der Ermittlung zu tun hat. Sobald er in New York gelandet ist, wird er nach Antworten auf all diese Fragen suchen. Die Distanz darf uns nicht daran hindern, Hand in Hand zu arbeiten.
    Während ich in dem stillen Wohnzimmer stehe, versuche ich, meine Hände mit schierer Willenskraft vom Zittern abzuhalten (was nicht funktioniert) und mir zu überlegen, was ich als Nächstes tue. Mein Blick schweift über die mit italienischen Büchern, Comics, DVD s und CD s vollgestopften Regale. Wer sind die Rossis eigentlich? Wie sind wir hier gelandet? Liegt Mac richtig mit seiner Vermutung, dass Godfrey Millerhausen irgendwie dahintersteckt? Was ist mit Kroll? Barclays? Und den Rossis?
    Paranoia ergreift Besitz von mir. Auf einmal juckt es mich überall. Am liebsten möchte ich so lange kratzen, bis es blutet. Ich greife nach dem leeren Glas, schnappe mir auf dem Weg durch die Küche die Flasche Wein und gehe in Marios Büro.
    Durchsichtige hellbraune Vorhänge dämpfen das fahle Licht der untergehenden Sonne. Ich schalte die Lampe an und lasse mich am Schreibtisch unseres Gastgebers nieder. Die Comics – ein Großteil auf Italienisch, der Rest auf Französisch, Deutsch, Englisch, Japanisch – in den deckenhohen Einbauregalen sind alphabetisch sortiert. An der Wand hängen zwei gerahmte Poster, die ziemlich retro wirken. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass beide Drucke die Nr.  1 einer limitierten Auflage und von Mario Rossi signiert sind.
    Die Kinkerlitzchen aus aller Welt, die sich auf den Regalbrettern türmen, deuten darauf hin, dass die Rossis gern reisen. Auf einem Aktenschrank stehen ein buddhistischer Schrein, ein halb heruntergebranntes Räucherstäbchen in einem grünen Porzellanhalter und ein Streichholzbriefchen, das – wie ich gerade noch entziffern kann – aus einem Restaurant in Cagliari stammt. Nachdem ich mir noch ein Glas Wein eingeschenkt habe, stelle ich die Flasche neben dem Schrein ab, stecke das Streichholzbriefchen ein und öffne die oberste Schublade des Aktenschranks.
    Darin liegen Poster von Marios Comicausstellungen, Verkaufsbelege, Rechnungen über Arbeitsmaterial, Versandbelege, schriftliche Anfragen, Dankesschreiben, Fanpost, unbezahlte Rechnungen. Auf seinem Schreibtisch befinden sich ein Computer mit 27 -Zoll-Bildschirm, eine stark benutzte Tastatur, Post-its, Tesafilm, ein Tacker – all die prosaischen Dinge eines Mannes, der zu Hause arbeitet. Daneben steht ein weißer Zeichentisch mit zahllosen Tintenflecken und Kratzern.
    Ein Windstoß bringt die Vorhänge in Bewegung. Einer der Schals streicht über meinen nackten Arm. Dass das Fenster anscheinend nicht zu ist, gefällt mir gar nicht. Ich schiebe einen Vorhang beiseite und stelle beruhigt fest, dass das Fenster nur einen Spaltbreit geöffnet und vergittert ist. Mir scheint, dass dieses abgelegene Haus so stark gesichert ist wie eine Trutzburg.
    Mit Glas und Weinflasche kehre ich in die Küche zurück, setzte mich an den Laptop und recherchiere die Verbrechensstatistik dieser Gegend, die – wie sich herausstellt – zu den niedrigsten in Europa gehört. Aber ich erfahre auch, dass hier die Camorra ihr Unwesen treibt. Laut Wikipedia operiert sie mit Geldwäsche, Erpressung, Menschenschmuggel, Raub, Nötigung, Entführung, Korruption und Produktpiraterie; nach Einschätzung einiger Ermittlungsbehörden ist sie inzwischen die mächtigste kriminelle Vereinigung in Italien.
    Ich lehne mich zurück, trinke Wein und zermartere mir das Gehirn. Vorausgesetzt, dass diese Insel tatsächlich so sicher ist, warum vergittern die Rossis dann ihre Fenster? Mario ist

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