Der Sommer deines Todes
einem Unfall umgekommen ist», versucht La-a zu beschwichtigen, aber ihr guter Wille kann gegen Macs sechsten Sinn nichts ausrichten.
«Wetten, dass ihn jemand von der Straße gedrängt hat?» Mac beginnt zu schwitzen, würde am liebsten sein T-Shirt ausziehen, aber solange La-a im Raum ist, lässt er das lieber bleiben. «Irgendwer hat mitgekriegt, dass er uns von Moores eineiigem Zwillingsbruder erzählt hat.»
«Während ihr geschlafen habt», sagt Billy mit bebender Stimme, «habe ich den Gefängnisdirektor in Atlanta angerufen und ihn gefragt, wie es kommt, dass einer seiner Häftlinge wegen Mordes angeklagt wurde, obwohl er seit Jahren nicht mehr draußen war. Wisst ihr, was er darauf allen Ernstes geantwortet hat?»
Mac und La-a stehen schweigend da und starren Billy an, der aussieht, als würde er gleich einen Tobsuchtsanfall kriegen. Mac ist sich darüber im Klaren, dass Billy seine Karriere aufs Spiel setzt. Er ist zu tief in einen Fall eingestiegen, der ihn nichts angeht, und wird dafür unter aller Garantie bezahlen müssen. Mac überlegt, ob es ein Fehler war, Billy in die Sache hineinzuziehen, doch für derlei Bedenken ist es längst zu spät.
«Gefängnisdirektor Thomas Allen Archibald hat Folgendes zu mir gesagt: ‹Das Mädchen hat vorgegeben, Moores Frau zu sein und ihn hier besucht. Wir haben den Sachverhalt überprüft. Der Gouverneur hat die Presse noch nicht darüber informiert, ist allerdings entschlossen, das bald nachzuholen.› Und dann hat er mir noch geraten, meine Nase nicht in Dinge zu stecken, die mich nichts angehen.»
«Wir sollen also allen Ernstes glauben, dass sich ein Mädchen aus Harrisburg, Pennsylvania, als Moores Ehefrau ausgibt und die Erlaubnis erhält, den Gefangenen in Atlanta, Georgia, zu besuchen», fasst Mac mit leicht verbittertem Unterton zusammen. Im Strafvollzug wird viel Mist gebaut, und Korruption ist an der Tagesordnung, aber das hier setzt dem Ganzen die Krone auf. Für ihn besteht nicht der geringste Zweifel, dass da eine Hand die andere wäscht.
«Na, diese Nuss werdet ihr nicht knacken», murmelt La-a. «Und wie erklären die sich das?»
«Nach ihrer These ist das Mädchen mit dem Bus angereist.»
«Gibt es dafür Beweise? Kreditkartenbelege oder so etwas in der Art?»
«Sie hat die Fahrkarte bar bezahlt.»
«Dann ist dieses junge Mädchen, ein nettes Ding aus der Vorstadt im Nordosten, in einen Bus gestiegen, nach Süden gefahren, um es mit einem hässlichen Gefangenen zu treiben, der ihr Vater sein könnte?» La-a verdreht die Augen. «So einen Unsinn würde nicht mal ich glauben, obwohl ich momentan nicht gerade eine hohe Meinung von Teenagern habe.»
Vor Wut zitternd stellt sich Mac ans Fenster und sieht auf die ruhige Straße hinaus. Godfrey Millerhausen ist es vollkommen egal, wie viele Leben er ruinieren muss, um die eigene Haut zu retten.
«Und kurz darauf», fährt Billy fort, «ruft mich auch noch Detective Marc Kneeler an, der Schlauberger, der in Harrisburg die Alicia-Griffin-Ermittlung geleitet hat. Der Typ, der den Fall für abgeschlossen erklärt hat, weil er überhaupt keinen Zweifel an der These hatte, dass ein nettes Mädchen von einem Knacki, der in einem anderen Staat einsitzt, geschwängert und ermordet wurde. Kneeler gibt vor zu glauben, dass Moore jemanden damit beauftragt hat, die Kleine in Pennsylvania lebendig zu begraben. Komplett irre, oder?»
«Das kannst du laut sagen.» La-a geht zu Billy hinüber und klopft ihm auf die Schulter. «Gute Arbeit, aber das wird dich deinen Job kosten. In dem Punkt machst du dir doch nichts vor, oder?»
Er nickt kurz. Kummer spiegelt sich auf seiner Miene.
«Die haben dich schnell gefunden», meint Mac. «Wie groß ist wohl das Netzwerk, das Millerhausen zu seinem eigenen Schutz geschaffen hat?»
Billy dreht einen Stuhl um, setzt sich und betrachtet La-a und Mac. «Das habe ich mich auch schon gefragt. Mitten in der Nacht kriege ich Anrufe von Menschen, die jemandem so tief in den Hintern gekrochen sind, dass sie nicht mehr klar denken können. Dass wir Fragen stellen, jagt ihnen Angst ein, das kann ich euch versichern. Und sie möchten, dass wir damit aufhören. Und zwar sofort.»
«Warum hast du mich nicht geweckt?», fragt Mac. «Du kannst mich doch nicht einfach schlafen lassen.»
«Du bist gestern Abend an meinem Schreibtisch eingenickt. Zweimal.»
«Ich hätte mich zusammenreißen können.»
«Du hast den Schlaf gebraucht. Das sag ich dir als Freund. Okay?» Stur fixiert
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