Der Sommer deines Todes
tatsächlich, dass sich die Geschichte wiederholt, dass der Fahrer nur mit mir gespielt hat und er mich nun in Ruhe lässt, dass er nichts mit Liz Braud, meinen verschwundenen Lieben zu tun hat, dass ich mir alles nur eingebildet habe.
So gehe ich vom Gas, bremse vorsichtig und überlege kurz, ob ich nicht zum Flughafen fahren und einfach nach Hause fliegen soll. Aber das ist natürlich keine Option: Die Insel kann ich erst verlassen, nachdem ich Mary und die Kinder gefunden habe.
Da kommt der Sportwagen plötzlich hinter mir um einen Felsvorsprung gesaust. Fassungslos trete ich das Gaspedal durch, und dann geschieht das, was nicht geschehen darf: Die Kupplung versagt.
In dem Augenblick wird mir bewusst, dass ich lieber gegen einen Berg fahre, als im hohen Bogen durch die Luft zu fliegen und im Meer zu versinken. Vor mir beschreibt die Straße eine scharfe Kurve, rechts ragen Felsen auf, links fällt das Terrain steil ab.
Der näher kommende Sportwagen bringt mich auf eine Idee. Obwohl sich der Abstand zwischen ihm und mir merklich verringert, bewahre ich Ruhe, passe den richtigen Moment ab und halte absichtlich auf die Felsen zu.
Als sich beim Aufprall die Front meines Wagens wie eine Ziehharmonika zusammenfaltet und sich der Airbag aufbläst, muss ich an den Straßenmusiker in Cagliari denken, der mir beim Einparken geholfen und mit seiner Forderung nach
money, money
die gute Laune verdorben hat.
Und dann kommt es mir so vor, als würde ich einen surrealen Film anschauen, den ich zuerst nicht zu deuten weiß. Mit offenem Mund verfolge ich, wie der silberne Sportwagen über die Klippe hinausschießt und in die Tiefe fällt.
Money, money.
Und da wird mir plötzlich klar, dass es hier ums Geld geht und Liz Braud alles tun wird, um ihr Vermögen und das Erbe ihrer Tochter zu sichern, damit sie auch in Zukunft ihren Traum vom
Dolce Vita
leben können. Dafür entführt sie meine Familie, deshalb trägt sie Sorge dafür, dass ihr Exmann nicht für seine Verbrechen sühnen muss, deswegen nimmt sie es billigend in Kauf, dass Cathys behinderter Sohn in Zukunft vielleicht nicht mehr so betreut wird, wie es nötig ist. In diesem Sekundenbruchteil, der mir wie eine Ewigkeit vorkommt, kann ich nicht mehr unterscheiden, ob der laute Knall, den ich höre, von meinem Aufprall gegen den Felsen oder dem Zerschellen des Sportwagens auf der Wasseroberfläche herrührt, ob ich lebe oder tot bin. Die Phantasie geht mit mir durch: Ich umarme meine beiden Kinder, den verschwundenen Ben und die auf ewig verlorene Cece, und sterbe beinahe vor Sehnsucht nach dem, was einmal war.
«Warum geht sie denn nie ran?» Mac steckt das Handy ein und sieht zu Billy hinüber, der zwei Becher Kaffee in einem Laden auf der Lexington Avenue besorgt hat.
«Wie oft hast du sie angerufen, während ich weg war?»
Mac, der Karin in den letzten zehn Minuten vermutlich vier-, fünfmal zu erreichen versucht hat, zuckt nur mit den Achseln.
«Hör auf, dir ihretwegen Sorgen zu machen», warnt Billy. «Du kennst doch Karin. Sie ist wie eine Kakerlake, die man einfach nicht totkriegt.»
Mac wirft seinem Freund, der verschämt den Blick senkt, einen erbosten Blick zu. «Meinst du, dass ich mich jetzt besser fühle?»
«Tut mir leid, Kumpel. Ich bin ein Idiot.»
«So sehe ich das auch.»
«Hier, für dich.» Billy reicht Mac einen Becher, aus dem heißer Dampf aufsteigt, als er den Deckel abnimmt.
Am Sonntagmorgen herrscht auf der Park Avenue kaum Verkehr. An Sommerwochenenden fliehen die Bewohner der Upper East Side in die Hamptons oder an fernere Orte. Wieso sollte man auch in Manhattan schwitzen, wenn einem ein Stück Strand gehört? Alle, die in der Stadt ausharren, müssen arbeiten, haben etwas zu verbergen oder einen anderen triftigen Grund, der sie vom Strandbesuch abhält.
Laut Cathy Millerhausen verbringt Godfrey das ganze Wochenende in New York und arbeitet. Ziemlich seltsam für einen Mann, der ein Vermögen geerbt hat und offenbar einen Großteil seiner Zeit dafür aufwendet, sowohl Leute, die ihm nahestehen, als auch Fremde zu manipulieren und zu betrügen.
Mac wäre es lieber, wenn Godfrey eine Geliebte hätte, doch dem ist nicht so. Dieses Szenario würde ihm jedenfalls wesentlich mehr behagen als die Herausforderung, die es zu meistern gilt. Sie müssen die DNS des Mannes in dem Erdloch in Pennsylvania finden, wo das Mädchen lebendig begraben wurde. Heute Morgen haben Mac und Billy trotz La-as unverhohlener Missbilligung beschlossen,
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