Der Sommer der Frauen
aus einer Biographie von Margaret Thatcher vor. Die Eiserne Lady. Eisern. Genau dieses Attribut hatte Kat auch ihrer Mutter immer zugeschrieben. Unerbittlich korrekt und diszipliniert. Doch Kat hatte sich geirrt. Ihre unerschütterliche, leidenschaftslose Mutter hatte einen Mann namens Harrison geliebt. Und ihn aufgegeben. Vielleicht war sie doch eisern.
Lollys Geständnis hatte Kat zutiefst verwirrt. Ihre Mutter hatte eine Affäre gehabt. Aber sie hatte auch die eine, große Liebe gefunden und wieder aufgegeben – aus Schuldgefühlen oder Scham oder vielleicht auch, weil sie insgeheim ihm die Schuld an allem gab. Oder war Lolly am Ende klargeworden, dass doch ihr Ehemann ihre große Liebe gewesen war, und sie hatte Harrison deswegen den Laufpass gegeben? Und was sollte Kat daraus lernen? Sollte sie sich darüber klarwerden, ob ihre Gefühle für Matteo bedeuteten, dass sie Oliver nicht heiraten sollte? Dass sie ihnen eine Chance geben sollte? Hatte ihre Mutter ihr deshalb von ihrer Affäre erzählt? Kat vermutete es, doch Lolly war durch die Infektion so geschwächt, dass Kat es nicht gewagt hatte, noch einmal an die Vergangenheit zu rühren. Und auch nicht an die Gegenwart. Oder an die Zukunft. Als sie ihre Mutter heute Morgen schließlich doch noch einmal auf Harrison angesprochen hatte, hatte Lolly sie mit einem «Ich bin müde, Kat» in ihre Schranken verwiesen. Weil die Erinnerung zu schmerzhaft war? Weil Lolly Angst hatte, Kat würde die falschen Schlüsse daraus ziehen? Wieso konnte Lolly nicht einfach geradeheraus sagen, was sie dachte? Und wieso brachte Kat es nicht fertig, einfach rundheraus danach zu fragen?
Ihr Handy brummte. Es war eine SMS von Matteo.
Heute Mittagessen bei mir?
Sie entschuldigte sich, trat auf den Flur und rief zurück. Sie unterhielten sich kurz über Lolly und die neue Pflegeschwester. Und darüber, wie Lolly sich fühlte. Über die nächste Runde Chemotherapie und wie hoch die Gefahr einer erneuten Infektion war.
Ja.
Heute Mittagessen
klang genau nach dem richtigen Rezept. Vor allem bei ihm zu Hause, wo es sich freier sprechen ließ. Wo er sie trösten konnte, ohne dass irgendwer auf falsche Gedanken kam. Auf falschere Gedanken. Und wo sie … ihren Gefühlen für ihn auf den Grund gehen konnte.
*****
Auf dem Weg zu Matteo ließ Kat das, was Isabel neulich über
Wenn Liebe so einfach wäre
gesagt hatte, keine Ruhe. Dass die Menschen manchmal eben einfach das taten, was sie gerade brauchten, und dabei die gute alte Vorsicht in den Wind schossen. Manchmal war es richtig, und manchmal war es falsch. Manchmal aus den richtigen Gründen, und manchmal aus den falschen.
Das änderte nur leider nichts an den Schuldgefühlen, die Kat empfand, weil sie sich zu Matteo hingezogen fühlte. Oliver konnte nichts dafür, dass er ihr nichts über Blutbilder und Neutropenie erzählen konnte. Oliver konnte nichts dafür, dass sein Anblick genügte, sie augenblicklich nur noch an DIE HOCHZEIT denken zu lassen, an das Kleid, das immer noch darauf wartete, für sie geändert zu werden. An die Schuhe, die Lolly mit Charlies Bastelschere aus diversen Hochzeitsmagazinen ausschnitt, weil die Haushaltsschere ihr inzwischen zu schwer geworden war. Und Oliver konnte nichts dafür, dass sie am liebsten davonlaufen wollte und der Gedanke an Matteo sich in ihr so verlockend mit der Vorstellung verband, in einer italienischen Pasticceria zu stehen und Cannoli zu rollen.
Sie hatte Oliver in der vergangenen Woche kaum gesehen. Vor zwei Tagen war es ihm abends am Telefon gelungen, sie nach einem anstrengenden Tag, als sie hundemüde und erledigt war, mit seichten Geschichten zum Lachen zu bringen. Über einen Kunden, einen wohlhabenden Mann mit einem Riesenanwesen, der einen Landschaftsarchitekten engagieren wollte, um in seinem Garten einen ummauerten Kinderspielplatz bauen zu lassen, inklusive Buchsbäumen in der Form von Pu der Bär und Alice im Wunderland. Er hatte ihr erzählt, dass die Freundin seines Bruders ihm, obwohl er ihr bereits mehrmals gesagt hatte, dass Kat ihr Kleid bereits gefunden hatte und sie eine ganz schlichte Trauung planten, ständig Links zu irgendwelchen Brautmodenausstattern und Fotoseiten von verschwenderischen Glamourhochzeiten schickte, die er sofort löschte. Als das Hochzeitsthema angeschnitten war, hatte Kat das Telefonat ziemlich schnell beendet.
Matteos Haus kam in Blickweite, und Kat gab sich ein Versprechen. Egal, was geschah, sie würde Oliver nicht betrügen. Was das
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