Der Sommer der Frauen
einmische, Mr. Ferry. Ich habe Verständnis dafür, falls Sie nicht antworten können.
Mit herzlichen Grüßen
Kat Weller
Mit Tränen in den Augen drückte Kat auf SENDEN . Sie hatte keine Ahnung, ob er reagieren würde. Trotzdem war sie überzeugt, dass es richtig war, ihn zu bitten.
Manchmal konnte man nicht mehr tun als das.
*****
«Kat! Ich werfe gleich dein Telefon zum Fenster raus!» Oliver funkelte sie böse an.
Sie stand in seiner Küche, weil sie den scharfen Senf für die Pastrami-Sandwiches vergessen hatte, das iPhone wie angewachsen in ihrer Hand, so wie die letzten vier Tage schon. Es war Freitagabend, doch Lolly ging es so schlecht, dass sie ihren Kinoabend auf unbestimmte Zeit verschoben hatten, so lange, bis es ihr wieder besser ging.
Kat wartete auf eine Antwort von Harrison Ferry. Und überprüfte ständig ihren E-Mail-Eingang, wahrscheinlich inzwischen ein bisschen zu zwanghaft.
«Vielleicht ist er ja gestorben», hatte June gestern gesagt, als Kat erwähnte, dass Harrison Ferry sich immer noch nicht gemeldet hatte. «Das geht ja leider um.»
«Und zwar nicht erst seit gestern», hatte Isabel flüsternd hinzugefügt.
Die kurze Unterhaltung in den paar Minuten zwischen Lichtlöschen und Gute-Nacht-Sagen hatte Kat das Herz schwergemacht. Wenn er gestorben wäre, hätte sie bei ihrer Online-Recherche doch auf irgendeinen Hinweis stoßen müssen. War sie aber nicht.
«Ich warte nur dringend auf Nachricht von jemandem», sagte Kat jetzt zu Oliver, schob das Telefon in die Hosentasche und griff zum Senfglas.
Er verschränkte die Arme. «Von wem denn? Matteo?»
«Oliver!»
«Sag schon!»
«Nein, nicht von ihm, ich –»
Sie wollte es ihm nicht sagen. Sie hatte ihm von der ganzen Sache nichts erzählt, weder von Lollys Geständnis noch von dessen Folgen. Sie wusste selbst nicht genau, warum. Vielleicht, weil es ihm Flöhe ins Ohr setzen könnte über eventuelle Flöhe in ihrem Ohr. Über Matteo.
«Kat. Du hast die ganze Zeit die Hände an deinem Telefon!»
«Jetzt lass uns doch bitte einfach essen, ehe alles kalt wird.»
«Ich esse es gerne kalt. Ich würde lieber reden.»
Ihr verging der Appetit. «Ich aber nicht. Bitte, lass mich einfach mal in Ruhe.»
«Nein, Kat. Ich will jetzt wissen, worauf du da so dringend wartest.»
«Es hat was mit Lolly zu tun, und mehr will ich dazu nicht sagen. Okay?»
«Was ist mit Lolly?»
«Ich habe doch eben gesagt, dass ich nicht darüber reden will!»
«Na toll, Kat! Dann gibt es jetzt zwischen uns auf einmal Geheimnisse?»
«Oliver, bitte! Du machst dich …»
«Was? Lächerlich? Zum Affen?»
«Ja.»
«Auf wessen Nachricht wartest du?»
Lass mich in Ruhe!
, hätte sie am liebsten geschrien, doch dann wurde ihr plötzlich klar, dass er im Grunde überhaupt keinen Namen von ihr hören wollte. In Wirklichkeit ging es um Vertrauen. Er wollte vor allen Dingen wissen, dass sie ihn liebte. Über sämtliche Komplikationen und Geheimnisse hinweg. Er wollte
Der wichtige Mensch
in ihrem Leben sein. Und das hatte sie ihm in letzter Zeit verwehrt.
Weil sie jetzt ihre Cousinen hatte. Isabel und June waren
Die wichtigen Menschen
für sie geworden. An die sie sich wandte, wenn alles in Scherben ging. Mit denen sie alles teilte. Die sie brauchte wie die Luft zum Atmen.
Oliver, es tut mir leid, ich möchte das nicht mit dir teilen.
Aber sie musste ihm irgendwas sagen, und sei es nur, um das Abendessen zu überstehen.
«Ich habe einem alten Freund von Lolly eine Mail geschickt. Es ist jemand, mit dem sie vor dem Unfall befreundet war. Ich habe ihm geschrieben, dass sie … sehr krank ist, und ihn gefragt, ob er sie nicht besuchen kommen will. Weil ich dachte, das würde ihr vielleicht guttun.»
Er starrte sie an. «Und das konntest du mir nicht einfach so sagen?» Er trat zu ihr und legte ihr die Arme um den Hals.
Sie zuckte mit den Achseln. «Ich bin in letzter Zeit völlig irre, Oliver. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»
Sie setzten sich und aßen Pastrami mit Mixed Pickels, weil Kat gedacht hatte, das würde sie ein bisschen aufmuntern. Doch die sauren Gurken lagen ihr nur schwer im Magen. Sie durfte sich von dieser Sache nicht völlig in Besitz nehmen lassen. Sie würde nicht zulassen, dass eine Antwort von diesem Mann – einem Mann, von dem sie nicht mal sicher war, dass sie ihm wirklich begegnen wollte – so bestimmend für sie wurde.
Doch so war es nun mal. Es war jetzt wichtiger als alles, weil Lollys Herz daran hing.
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