Der Sommer der Frauen
hatte.
«Ich hätte einfach wahnsinnig gerne die Chance, dich kennenzulernen, Kat.»
«Wann ziehst du um?»
«Mitte November. Am vierzehnten kann ich in meine neue Wohnung. Es ist nur ein kleines Studio, aber dafür liegt es an der Upper West Side im zweiundzwanzigsten Stock, und man sieht sogar einen Zipfel vom Central Park.»
Ihre Hochzeit fand am fünfzehnten statt. Sie würde sich am vierzehnten von Matteo verabschieden, ihm nachwinken, wenn er sich auf den Weg nach New York machte, und am nächsten Tag Oliver heiraten.
Sie war sich nicht sicher, ob sie das konnte.
Er streckte den Arm nach ihr aus und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Hand berührte ihre Wange, ihr Kinn. Er rückte näher, um sie zu küssen, doch Kat hob abwehrend die Hand.
«Ich kann nicht.»
«Jetzt nicht. Aber vielleicht schon bald. Vielleicht auch nicht.»
«War das ein Test?»
Matteo schüttelte den Kopf. «Nein, das war rein impulsiv. Ich wollte dich schon ziemlich lange küssen, Kat. Es hat mich einfach überwältigt.»
«Ich will das auch, aber ich kann nicht», sagte sie und stand auf. «Danke für das Mittagessen, Matteo, aber ich muss jetzt gehen.»
Sekunden später war sie zur Tür hinaus, und dann rannte und rannte sie, bis sie keine Luft mehr bekam.
*****
Kat betrat die Pension und ging sofort in die Küche. Ein paar Stunden Backen, ein paar Stunden Trost, den das strikte Befolgen von Rezepten ihr verschaffte, würde ihr bestimmt helfen, den Kopf freizukriegen. Ein gedeckter Apfelkuchen für ihre Mutter. Die Riesenschokoladencookies, die Charlie so liebte. Doch dann tat sie zu viel Zucker in den Keksteig. Wusste nicht mehr, ob sie schon Vanille zugefügt hatte oder nicht.
Irgendetwas nagte an ihr und ließ ihr keine Ruhe. Aber es war nicht Oliver. Und auch nicht Matteo.
Es war Harrison. Ein Mann namens Harrison, der vor fünfzehn Jahren aus den falschen Gründen hatte gehen müssen.
Kat nahm die Schürze ab, wusch sich die klebrigen Hände und ging schnurstracks zum Zimmer ihrer Mutter. Ehe sie es sich anders überlegen konnte. Oder noch mal darüber nachdenken. Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte hinein. Lolly schlief.
Perfekt!
Die Pflegeschwester saß lesend auf einem Stuhl und lächelte Kat an. Kat lächelte zurück und deutete stumm auf das Fotoalbum, das auf dem Nachttisch lag, trat ans Bett und nahm es vom Tisch.
Mit dem Album in der Hand ging sie zurück in die Küche, setzte sich an den Tisch und drückte sich im Geiste die Daumen, dass sie finden würde, wonach sie suchte.
Dieses Album war Lollys kostbarstes, voll mit Lieblingsfamilienfotos aus sämtlichen Jahren. Lolly beschriftete immer gerne die Rückseiten.
Allie und Isabel, 1993 . Izzys neue Ohrlöcher. Dad und Kat, 1995 . Kat fährt Fahrrad.
Kat drehte jedes einzelne Foto um und schließlich, auf der letzten Seite, versteckt hinter einem Foto von Lolly in ihrem dunkelblauen Wollmantel vor einem Baum, Schneeflocken im Haar, einen Ausdruck von Staunen und reiner Freude im Gesicht (
Ich, Dezember 1996 ; erster Schnee
), fand Kat, wonach sie gesucht hatte.
Harrison Ferry, September 1997 ; Pier 10 .
Harrison Ferry.
Du musst tun, was sich für dich richtig anfühlt, weil du unter dem Strich nichts anderes hast als dein Gefühl, auf das du dich verlassen kannst.
Kat ging hinauf in ihr Zimmer und fuhr ihren Laptop hoch. Harrison Ferry war einfach zu finden. Eine schlichte Google-Eingabe, und da war er schon, ein angesehener Professor der Astronomie am Bowdoin College in Brunswick. Nur fünfundvierzig Minuten von Boothbay Harbor entfernt. Über die College-Website fand sie seine E-Mail-Adresse und klickte auf NEUE NACHRICHT . In die Betreffzeile tippte sie LOLLY WELLER .
Lieber Mr. Ferry,
Sie waren vor etwa fünfzehn Jahren mit meiner Mutter Lolly Weller befreundet. Meine Mutter stirbt an Krebs. Sie hat mir neulich erzählt, dass sie vor langer Zeit einen Mann liebte und verlor, und dass sie es zutiefst bereut, diese Liebe aufgegeben zu haben, und zwar aus Gründen, die sehr kompliziert sind. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ihr noch bleibt, aber ich weiß, dass manche Dinge nicht bis zum Schluss kompliziert bleiben müssen. Ich glaube, es würde meine Mutter sehr erleichtern, wenn sie Sie noch einmal sehen könnte, Ihre Hand halten oder Ihnen einfach noch einmal in die Augen sehen und Ihnen von ihrem tiefen Bedauern erzählen dürfte. Ich glaube, das würde ihr unendlich viel bedeuten.
Bitte verzeihen Sie, dass ich mich
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