Der Sommer der Frauen
betraf, gab es kein Richtig oder Falsch. Nur Falsch. Wenn sie eine Entscheidung über Oliver und ihre gemeinsame Zukunft treffen musste, dann aus vollem Herzen, aus tiefster Seele und bei klarem Verstand. Die Lust auch noch mit in die Waagschale zu werfen und damit womöglich einen impulsiven Ausschlag in eine Richtung zu riskieren, kam überhaupt nicht in Frage.
Vor dem Haus mähte ein Junge im Teenageralter den Rasen. Kat ging über den kurzen gepflasterten Weg zur Haustür und klopfte. Und dann stand er vor ihr, füllte den ganzen Türrahmen aus mit seinem herrlich südeuropäischen Teint und diesen unglaublichen, dunklen Augen, mit seinem Lächeln, in dem so vieles steckte. Wärme, Chancen …
Anderssein
. Kat merkte selbst, dass sie ihm auf den Mund starrte, und lenkte den Blick schnell an ihm vorbei ins Wohnzimmer.
Das Haus, in dem Matteo wohnte, war völlig anders als das von Oliver. Während Olivers Cottage mit den hellblauen Sofas und den weißgetünchten Möbeln ganz und gar nach Maine aussah, gab es bei Matteo, abgesehen von dem Gemälde eines verwitterten Ruderbootes, nur Hightech und Leder.
«Es war schon möbliert», sagte er und schloss die Tür. «Aber mir gefällt es.»
«Ich habe plötzlich das Gefühl, dass ich nicht hier sein sollte», platzte Kat heraus. «Als würde zwischen uns irgendwas geschehen und ich …» Sie kam sich furchtbar dumm vor und spürte, wie sie errötete.
Er setzte sich auf das schwarze Ledersofa und bat sie mit einer Geste, sich neben ihn zu setzen. Auf dem gläsernen Couchtisch standen zwei Flaschen Bier, zwei belegte Sandwiches, eine Schüssel Blattsalat und eine mit gemischten Früchten. Matteo warf sich eine Handvoll Blaubeeren in den Mund und musterte Kat. «Aber vielleicht heißt das genau das Gegenteil, Kat, dass du hier sein sollst. Ich bin ein Verfechter der Aufrichtigkeit – anderen gegenüber und, vielleicht noch wichtiger, sich selbst gegenüber. Wenn du auf einmal daran zweifelst, ob du heiraten solltest, weil du etwas für mich empfindest, dann finde ich, du solltest dir deine Gefühle ganz genau ansehen, anstatt davor davonzulaufen.»
«Ich weiß einfach nicht, was ich fühle. Ganz genau jedenfalls», sagte sie leise, den Blick starr auf ein Sandwich gerichtet, auf das grüne Salatblatt, den roten Rand einer Tomate.
«Heißt das, du weißt nicht, ob du heiraten willst? Oder heißt es, du willst den Typen auf alle Fälle heiraten, und ich habe dir einen Knüppel zwischen die Beine geworfen?»
«Die Zweifel waren schon da, ehe ich dich getroffen hatte. Und als wir uns dann kennenlernten, als du damals am ersten Tag im Krankenhaus meine Hand gehalten hast …»
«… wurde es noch komplizierter.»
Kat nickte und nahm sich eine Erdbeere. Matteo machte einen Teller für sie zurecht und reichte ihn ihr. Sie biss in das Sandwich, obwohl ihr eigentlich der Magen zugeschnürt war. «Ich kenne Oliver, seit ich ein kleines Kind war.» Sie stellte den Teller zurück auf den Tisch. «Es gab Zeiten, da war ich so verliebt in ihn, dass es mir in seiner Gegenwart den Atem verschlug.»
«Und jetzt?»
«Jetzt weiß ich, dass ich ihn liebe. Ich weiß, dass er mich liebt. Ich weiß, dass ich mit Oliver glücklich sein werde und dass er ein wunderbarer Vater sein wird. Deswegen bin ich ja so durcheinander. Wie kann es sein, dass ich ihn liebe, aber nicht weiß, ob ich ihn heiraten will?»
«Vielleicht bist du einfach noch nicht bereit zu heiraten, Kat. Du bist erst fünfundzwanzig.»
«Vielleicht. Vielleicht bin ich aber auch dazu bestimmt, nach Frankreich gehen. Oder nach Australien. Oder Japan. Vielleicht hieße das aber auch nur wegzulaufen. Vielleicht ist mein Platz ja doch genau hier, vielleicht ist es mir bestimmt, die Pension zu übernehmen.» Sie ließ sich gegen die Sofalehne sinken.
«Vielleicht solltest du auch nach New York gehen und als Chefkonditorin in einem Sternelokal oder in einer Top-Bäckerei arbeiten», sagte er. «Und dann könnten wir herausfinden, was zwischen uns ist.»
Sie sah ihn überrascht an. «Du ziehst nach New York?»
«Ich habe ein Stellenangebot am Mount Sinai Hospital akzeptiert. Und weißt du, woran ich die ganze Zeit denken muss? Dass wir uns dann nicht mehr in der Stadt über den Weg laufen oder auf der Fußgängerbrücke oder im Krankenhaus. Ich kann Was-Wenns nicht ausstehen, Kat.»
Was-Wenns. Kat musste an ihre Mutter denken, daran, wie sie sich unter Tränen von dem großen Was-Wenn ihres Lebens verabschiedet
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