Der Sommer der Frauen
nachvollziehen», sagte Kat, erhob sich von dem Sitzsack, dehnte sich, streckte die Beine und setzte sich aufs Sofa. «Clint hat ihr ein Stückchen von ihr selbst zurückgegeben. Und mir hat gefallen, dass sie ihn erst gebeten hat, zum Essen zu bleiben,
nachdem
er den entscheidenden Schlüsselsatz gesagt hat: ‹Ich weiß, wie Sie sich fühlen› Das ist es doch, was wir alle uns wünschen. Jemanden, der einen versteht.»
«Ja, das wollen wir alle, aber manchmal kann es eben nicht sein», sagte Lolly, den Blick zum Fenster hinaus gerichtet, und Isabel fragte sich, was sie damit meinte.
Sie lehnte den Kopf an die Kissen. Edward war offensichtlich nicht der Ansicht, dass sie ihn verstand. Vielleicht war sie nicht mehr in der Lage, ihn zu verstehen, weil sie sich verändert hatte. Genauso wenig, wie er sie verstand.
Aber genau das hieß doch, an einer Ehe zu arbeiten. Eine Ehe war harte Arbeit. Man gab sich nicht einfach ohne jedes Verantwortungsgefühl einer romantischen Idee hin. Meryls Figur hatte sich in der Sekunde in den reisenden Fotografen verliebt, als er sagte, er wüsste, woher sie komme, dass er auch schon einmal dort gewesen sei. Weil Bari und ihre italienische Herkunft alles ausmachten, was sie war.
Isabel spürte, dass ihr schon wieder die Tränen kamen. Eine tiefe Herzensverbindung zwischen Edward und Carolyn Chenowith? Wie denn? Isabel war diejenige mit derselben Vergangenheit wie er. Isabel hatte ihre Eltern verloren, genau wie er. Isabel hatte sich monatelang in den Schlaf geweint, genau wie er. Isabel war fünfzehn Jahre lang an seiner Seite gewesen.
Womit hatte Carolyn das übertrumpfen können? Womit?
«Wenn es das ist, was jemand insgeheim gesucht hat», sagte Kat. «Was jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt für sich braucht. Habt ihr bemerkt, dass Meryl nicht mal genau wusste, wie lange sie verheiratet war, als Clint sie danach fragte? Sie hat versucht, es an den Fingern abzuzählen, aber sie ist nicht draufgekommen. Weil sie seit Ewigkeiten verheiratet war und dabei sich selbst verloren hat. Und plötzlich war da Clint und erinnerte sie daran, dass sie einmal jemand gewesen war. Jemand anderes. Und diese andere Frau hat er in ihr gesehen.»
Isabel zitterte. Welche Gefühle hatte Carolyn in Edward geweckt? Hatte sie ihm den Mann in ihm gezeigt, zu dem er geworden war? Den, der nicht mehr wusste, wer er mal war? Vielleicht wollte er das Gegenteil.
Sie schüttelte den Kopf. «Aber wisst ihr, wer diese Frau, die sie mal war, noch gesehen hat? Ihr
Ehemann
. Sie lernte ihren Mann in Italien kennen, während er als Soldat dort stationiert war. Ihr Mann verliebte sich in sie. Also wusste er doch auch, wer sie war.»
«Aber –»
Isabel ließ June nicht zu Wort kommen. «Sie ist vier Tage lang mit einem anderen Kerl ins Bett gestiegen, während Mann und Kinder aus dem Haus waren. Sie hat ihn betrogen. Ihr Gelübde gebrochen. Und dann sagt sie ihrer Affäre Lebwohl, weil sie weiß, dass daraus sowieso nichts werden kann, und ihr Leben geht weiter, als hätte sie nie etwas Schlimmes getan – und als wäre sie nicht beinahe gegangen.»
June starrte sie an. «Puh! Haben wir wirklich denselben Film gesehen? Meryl hatte sich selbst aufgegeben, als sie den Bauern aus Iowa heiratete. Sie hatte etwas völlig anderes erwartet, als sie ihn heiratete und mit ihm nach Amerika ging. Keine Farm in Iowa. Wisst ihr noch, als sie sagte: ‹Es ist nicht das, was ich mir als Mädchen erträumt habe›? In den vier Tagen mit Clint hat sie sich selbst wiedergefunden. Aber dann hat sie ihr eigenes Glück aufgegeben, um das Richtige zu tun. Und das war meiner Meinung nach falsch.»
«Ich weiß, was du meinst», sagte Kat und zupfte an ihrem Cupcake-Papierchen herum. «Nicht dass ich mir gewünscht hätte, sie wäre mit Clint weggegangen und hätte ihre Familie im Stich gelassen. Aber dass sie sich selbst untreu wird, war mir auch nicht recht.»
Isabel starrte Kat an. «Sich selbst untreu? Und was ist mit ihrem
Ehemann
?»
«Finde ich auch», sagte Carrie. «Sie hat gewusst, worauf sie sich einlässt, als sie ihn heiratete. Ich wusste auch, worauf ich mich einlasse. Wer hatte denn heute keine Lust auf einen Stadtbummel? Und wer hockt jetzt da oben und glotzt auf seinem iPad ein Red-Sox-Spiel? Sie hat sich dieses Leben selbst ausgesucht, genau wie ich.»
«Aber das konnte sie doch vorher gar nicht wissen», sagte June. «Alles, woran sie denken konnte, war Amerika, hat sie gesagt. Sie wollte das Abenteuer. Und
Weitere Kostenlose Bücher