Der Sommer der Frauen
gequetscht mit ihrer alles vereinnahmenden Schwester und ihrer stummen Cousine, die sie immerzu anstarrte. Wenn June irgendwo Blicke auf sich spürte, wusste sie, dass Kat in der Nähe war.
Sobald sie zu dritt in einem Zimmer gewesen waren, ob in ihrem eigenen oder irgendeinem anderen, hatte stets mindestens eine von ihnen den Raum wieder verlassen. Das war auch kein Wunder.
June sah zum Himmel hinauf. Es waren nur wenige Sterne zu sehen, und sie konzentrierte sich auf einen davon, in der Hoffnung, dass er sich nicht als Flugzeug entpuppte. Sie hatte das Bedürfnis, sich an einen Fixstern zu klammern. Isabels Neuigkeiten hatten sie erschüttert. Mochte Edward auch ein Arschloch sein, er war da gewesen – und zwar immer. Irgendwann vor ein paar Jahren, als Edward zu Thanksgiving etwas Verletzendes zu June gesagt hatte – es hatte irgendwas mit dem Käse zu tun, den sie für Charlie gegrillt hatte, er hatte wissen wollen, weshalb es unbedingt der ungesunde amerikanische Chemiekäse sein musste anstatt gesunder Käse wie zum Beispiel Schweizer Käse oder Cheddar, und ob es ihr eigentlich ganz egal wäre, womit sie Charlies Hirn und seinen Körper fütterte, die beide im Wachstum waren –, da hatte sie Isabel zugeflüstert: «Hab ich ein Schwein, dass ich nicht bei Edward gelandet bin!»
Isabel war zusammengezuckt, und June hatte ihr bissiger Kommentar augenblicklich leidgetan. Doch dann hatte ihre Schwester sofort zurückgeschossen. «Ach was! Als hättest du bei ihm je eine Chance gehabt! Und wie lange hat deine große Liebe gedauert? Zwei Tage? Also sprich nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast.»
Als die letzten Reste des Festessens vertilgt waren, würdigten sich Isabel und June keines Blickes mehr. Sie waren einander bis zur nächsten Zusammenkunft an Weihnachten höflich aus dem Weg gegangen und hatten zwischendurch lediglich die obligatorischen Geburtstagskarten ausgetauscht. Andererseits kamen Isabel und Edward wirklich jedes Jahr zu Charlies Geburtstagsfeier – jedes Jahr fünf Stunden Fahrt, egal ob die Party beim Kinderturnen stattfand, auf dem Spielplatz oder in ihrer winzigen Wohnung über dem Buchladen. Isabel war immer da gewesen, und zwar jedes Mal mit einem riesigen Geschenk, irgendetwas ganz Tolles, das June sich nie hätte leisten können, ein rotes Bobbycar oder der Indiana-Jones-Lego-Baukasten, und Charlie hatte sich jedes Mal so darüber gefreut, dass er wie wild im Kreis rannte und June all ihren Ärger sofort vergaß. Bis Isabel oder Edward dann fünf oder höchstens zehn Minuten später alles wieder kaputt machten, mit einem doofen Kommentar über das staatliche Schulsystem in Portland oder darüber, wie jämmerlich June gerade so über die Runden kam – und schon hatte sich der magische Moment – puff! – wieder in Luft aufgelöst.
June hatte sich immer eine Beziehung zu ihrer Schwester gewünscht, die eher war wie die Beziehung zwischen ihr und ihrer Cousine. Höflich. Distanziert. Ohne Seitenhiebe. Die Gespräche zwischen Kat und ihr glichen eher jenen von Arbeitskolleginnen auf einer Betriebsfeier. Keine Tiefen, aber dafür auch keine Verletzungen.
«June? Kannst du mir mal mit dem Bett helfen? Ich glaube, es klemmt.»
June trat zurück ins Zimmer. Kat kämpfte mit dem Ausziehbett an der gegenüberliegenden Wand und versuchte gerade, das untere Teil herauszuziehen. Sie zog und zerrte, dann trat sie gegen den Kasten und ließ sich auf das schmale obere Teil plumpsen.
June setzte sich neben sie. «Deine Mutter kann den Krebs besiegen. Sie
wird
ihn besiegen.»
Kat lehnte den Kopf gegen die Wand und stieß einen tiefen Seufzer aus. «Lass uns bitte das Bett ausziehen, okay?»
June warf ihrer Cousine einen verstohlenen Blick zu. Sie wünschte, sie wüsste, was sie sagen sollte. Doch Lollys Diagnose machte ihr genauso Angst wie Kat, und diese Angst miteinander zu teilen war wohl das Beste, was sie tun konnten.
Sie brauchten ein paar Minuten, doch schließlich bekamen sie den verklemmten Bettkasten frei, und das Oberteil sprang auf. June schob das Bett vor den Balkon. So konnte sie, wenn sie sich auf den Bauch legte, die Sterne und den Hafen sehen. Ein paar Minuten später waren sämtliche Betten hergerichtet und die leichten Sommerdecken ausgebreitet. Der August ging dem Ende entgegen, und es wurde kaum noch heiß genug, um den Lärm zu rechtfertigen, den der antike Bronzeventilator von sich gab, doch Kat stellte das Ungetüm trotzdem für alle Fälle in die Ecke. June
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