Der Sommer der Frauen
vor der Schule eher zufällig eine Mutprobe bestanden, als eines der Mädchen ihr zwei Zigaretten zusteckte und sagte, ihre Mutter würde sie kontrollieren, und ob Isabel sie bis morgen verstecken könnte. Und damit war Isabel drin, einfach so. Am nächsten Tag hatte sie ein geliehenes T-Shirt, eng und sexy. Dann die dazu passende geliehene coole Jeans. Geliehene, kniehohe schwarze Lederstiefel. In der Woche darauf trug sie schwarzen Eyeliner und große Kreolen in den Ohren. «Das ist nur eine Phase, lass sie in Ruhe», hatte ihre Mutter damals zu ihrem Vater gesagt, der aus seiner Meinung zu Isabels neuem Look keinen Hehl machte. Doch die Phase dauerte bis eine Woche nach dem Unfall. Bis zu dem Moment, als Edward ihr sagte, sie hätte so schöne Augen, wenn er sie doch nur sehen könnte. Sie hatte sich das Make-up aus dem Gesicht gewaschen, und er hatte gesagt: «Viel besser! Du bist so hübsch!» Im Laufe weniger Tage zog sie auf einmal die Sachen an, die ganz hinten in ihren Kleiderschrank verbannt waren, Sachen, die ihre Mutter in der Hoffnung für sie gekauft hatte, dass sie sich irgendwann doch noch kleiden würde wie ein ganz normaler Teenager. Ihre vermeintlichen Freundinnen hatte der Unfall, wie so viele andere, derart entsetzt, dass sie nicht wussten, wie sie reagieren sollten, und von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche verschwunden waren. Sie waren nicht mal zur Beerdigung gekommen.
«Es tut mir leid, dass ich so schrecklich war!», flüsterte Isabel in den Pullover hinein. Und anstatt sich, wie sonst, wenn sie an damals dachte, auch schrecklich zu
fühlen
, fühlte sie sich … okay. Fast, als wäre eine in den immer noch nach ihr duftenden Lieblingspullover ihrer Mutter geflüsterte Entschuldigung dasselbe, wie
Es tut mir leid
zu ihrer Mutter zu sagen. Und zu sich selbst.
Isabel stand auf, den Pullover in der Hand. Sie war nicht in der Lage, einen weiteren Koffer durchzusehen, zumindest nicht heute. Sie würde Lolly sagen, dass sie nach den Tagebüchern gesucht hatte, ihr zum Beweis den Pullover zeigen und versprechen, die restlichen Koffer morgen durchzuschauen.
Sie schenkte den Dingen ihrer Eltern einen letzten Blick, ging zurück nach oben und zog die Kellertür hinter sich zu. Sie war auf dem Weg in den ersten Stock, als laute Stimmen an der Haustür ertönten.
«Hör auf, mich zu behandeln, als wäre ich ein Kleinkind!», rief eine Mädchenstimme. Die Tochter von Griffin Dean. «
Ich bin vierzehn!
Und es ist nur ein Spaziergang!»
Griffin schloss die Tür hinter sich. «Alexa, du gehst nicht mit einem fremden Jungen weg. Basta! Und ganz besonders nicht um» – er warf einen Blick auf die Uhr – «zwanzig nach acht Uhr abends!»
«Wieso hast du mich eigentlich gezwungen, mitzukommen, wenn ich hier überhaupt nichts machen darf?», schrie Alexa unter Tränen. Sie drehte sich um, stürzte an Isabel vorbei die Treppe hinauf und hätte sie dabei fast umgerannt. Eine Tür fiel knallend ins Schloss.
Isabel hatte wirklich nicht vorgehabt, mitten im Dean’schen Gewittersturm zu landen, aber nun war es eben so.
Sie hatte erwartet, dass Griffin verlegen lächeln und
Teenager!
sagen würde, doch er schloss die Augen und blieb einfach so stehen, ganz still, und Isabel dachte schon, er würde auch anfangen zu weinen.
«Ich war mal genauso», sagte sie, ging die Treppe wieder hinunter und blieb auf dem Absatz stehen. «Ich glaube sogar, ich habe zu meinem Vater ganz genau das Gleiche gesagt, und seine Antwort war auch ungefähr dieselbe.»
Er sah sie an. «Und sind Sie auch schreiend und weinend nach oben gerannt und haben mit den Türen geknallt?»
Sie nickte. «O ja! Ständig.»
«Aber dann war irgendwann alles okay, oder? Ich meine, irgendwann ist doch alles wieder okay, oder?», fragte er mit einem winzigen Lächeln.
«Ich glaube schon. Aber ich wünschte trotzdem, ich könnte die Zeit zurückdrehen und die Dinge verändern.»
Im ersten Stock ging eine Tür auf, und eine dünne Stimme fragte: «Daddy?»
«Sie hat Emmy aufgeweckt.» Er seufzte und ging nach oben. «Eigentlich wacht sie nicht mehr auf, wenn sie abends erst mal eingeschlafen ist», sagte er über die Schulter. «Es sei denn, Alexa knallt mit einer Tür. Was in letzter Zeit ziemlich oft geschieht.»
«Daddy!» Emmy stand auf dem Treppenabsatz. Sie hielt ein gelbes Plüschhäschen an sich gedrückt. «Ich habe Durst. Krieg ich einen warmen Kakao?»
Griffin drehte sich zu Isabel um. «Hat die Küche noch
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