Der Sommer der Frauen
geöffnet?»
«Natürlich!» Sie wartete, bis er nach oben gelaufen war, Emmy auf den Arm genommen hatte und sie die Treppe hinuntertrug, dann ging sie voraus in die Küche.
«Darf ich hier sitzen?», fragte Emmy und zeigte auf Kats Rattansessel mit dem dicken, rosaroten Sitzkissen.
«Aber klar», sagte Isabel und beobachtete, wie Emmy in den Sessel kletterte. Was für ein niedliches Mädchen! Sie hatte glänzende, dunkelbraune Haare mit ein paar kupferfarbenen Strähnen darin, und ihre Augen hatten beinahe dieselbe Farbe.
Während Isabel den Kakao kochte und Griffin etwas zu trinken anbot, was er ablehnte, hob er Emmy hoch, setzte sich mit ihr auf dem Schoß in den Sessel und flüsterte ihr die Geschichte von Goldlöckchen und den drei Bären ins Ohr. Als er fertig war, küsste er sie auf den Scheitel.
Isabel reichte dem Mädchen eine nicht zu heiße Schokolade in einem kleinen rosaroten Plastikbecher mit weißen Punkten.
Emmy starrte Isabel unverwandt an, trank einen Schluck und dann noch einen. «Du bist hübsch», sagte sie.
Isabel wurde rot. «Danke sehr. Ich finde, du bist auch sehr hübsch.»
«Ich mag, wenn meine Mama mir abends die Haare bürstet. Jetzt macht Lexa das.»
War Griffin Witwer? Oder geschieden?
«Soll ich dir die Haare bürsten, Emmy?», fragte Isabel.
Das Mädchen starrte sie an, schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht an der Brust seines Vaters.
Griffin gab Isabel die rosarote Tasse zurück. «Na komm, Süße. Ab zurück ins Bett. Gute Nacht», sagte er noch zu Isabel und verschwand.
Sie wartete darauf, dass er noch mal herunterkam und sie ihm ein Glas Wein anbieten konnte, doch als sie jede nur mögliche Holzfläche abgewischt, mit dem Teppichroller sämtliche Vorleger in den Fluren und im Aufenthaltsraum gesäubert hatte, merkte sie, dass inzwischen mehr als eine Stunde vergangen war und er nicht wieder runterkommen würde. Noch nie hatte sie sich so danach gesehnt, mit jemandem draußen in der lauen Augustnacht zu sitzen und zu schweigen.
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8. June
W ährend der ersten vier Stunden als Geschäftsführerin von Books Brothers in Boothbay Harbor hatte June eigenhändig vier Romane verkauft, zwei Biographien und einen Reiseführer über den Norden Neuenglands, sie hatte fünf Bücher bestellt, mehr als dreihundert Dollar für diverse Verkäufe kassiert und den Müttern einer Mutter-Kind-Gruppe, die nach ihrem Kaffeestündchen aus dem Café gegenüber hereingeschlendert kamen, Kinderbücher im Wert von zweihundert Dollar verkauft.
Ein erfolgreicher Vormittag, selbst für den Freitag des Labor-Day-Wochenendes. Und auch für sie persönlich. Boothbay Harbor hin oder her, Buchhandlungen – und natürlich ganz speziell Books Brothers – waren Junes Terrain. Hier fühlte sie sich am wohlsten, hier durfte sie am ehesten sie selbst sein. Sie saß hinter der Kasse auf ihrem Regiestuhl und arbeitete an einer Liste mit Ideen zur Geschäftsbelebung. Sie hatte mit Henry bereits über einen wöchentlichen Buchclub und einen Vorlesenachmittag für Kinder gesprochen, und sie dachte über einen Kaffeeklatsch nach – sich ungezwungen über Bücher und das Leben unterhalten, eine lockere Veranstaltung am frühen Abend, wo man bei einer guten Tasse Kaffee ins Gespräch kommen konnte, wo die Leute sich entspannten – und natürlich auch das ein oder andere Buch mitnahmen.
Die Türglocke bimmelte, und June wollte gerade den Blick von ihrem Notizblock heben, als eine Frauenstimme sagte: «Juney Nash? Bist du das?»
O nein. Das verhieß nichts Gutes.
Sie legte den Kugelschreiber auf den Books-Brothers-Block, hob den Kopf und sah direkt in die kalten blauen Augen von Pauline Altman. Schon das zweite Mal in einem Sommer! Und auch noch mit ihren beiden alten Freundinnen. Marley Sowieso und Carrie Fish. Das Trio hatte immer für eine Vierfachbedrohung gestanden: klug, hübsch, beliebt – und gar nicht nett.
«Ich habe mich schon immer gefragt, was wohl aus dir geworden ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben», sagte Pauline und rückte die weißen Bikiniträger zurecht, die unter dem Sommerkleid herauslugten. «Da warst du unglaublich schwanger!»
An Carries Hand glitzerte ein riesiger Diamantring. «Ach ja, Pauline, stimmt, du hast erzählt, dass June schwanger ist und das Studium geschmissen hat. Hast du etwa die ganze Zeit hier gearbeitet?»
«Ich habe die letzten Jahre in Portland gelebt.» June hätte sich treten mögen, weil sie das Gefühl hatte,
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