Der Sommer der Frauen
offensichtlich nur weiter befeuert hatte. Die Ärmste, lief hinaus und beweinte die vier Kinder, die sie ihrem Edward nicht schenken konnte!
Es war das erste Mal gewesen, dass sie für ihn so etwas wie Hass empfunden hatte. Doch er hatte seine Überzeugungskünste als Anwalt benutzt, um sich herauszureden und ihr ein weiteres Mal einen fünfzehn Jahre alten Pakt um die Ohren zu schlagen, den sie als hilfloses, tief in Trauer und Selbsthass verstricktes Kind geschlossen hatte.
Lass ihn los
, sagte sie sich.
Lass es alles endlich los.
Sie starrte ihre schönen Ringe an, drehte sie am Finger und zog sie hastig ab, den Diamantring und dann auch den schmalen Ehering. Ehe sie es sich anders überlegte und sie doch dort ließ, wo sie nicht mehr hingehörten. Was sollte sie damit machen? Sie in die Handtasche stecken? Oder an die rechte Hand, wie Griffin Dean? Sie betrachtete ihre linke Hand. Wie ungewohnt nackt sie ohne den vertrauten Schmuck wirkte. Sie steckte sich die Ringe versuchsweise an die Rechte, doch da gehörten sie auch nicht hin. Morgen war ihr zehnter Hochzeitstag. Sie zwang sich, den Blick zu heben, und sah durch das Glas in die Säuglingsstation, auf die friedlich schlafenden Babys unter den vertrauten, weißblauen Deckchen.
In ihr regte sich eine leise Stimme, die ihr einflüsterte, sie solle morgen wiederkommen und nachfragen, ob die Möglichkeit bestünde, ehrenamtlich auf der Säuglingsstation zu arbeiten. Isabel holte tief Luft. Sie könnte die Kinder im Arm halten, die Trost brauchten. Die winzigen Finger der Frühchen im Brutkasten streicheln. Beim Füttern helfen. Während all der Jahre, die sie als Ehrenamtliche im Krankenhaus den Trauernden beigestanden hatte, hatte sie sich nie den Gedanken erlaubt, auch bei den Säuglingen zu helfen, als würde der Pakt, den sie geschlossen hatte, ihr den Kontakt zu Neugeborenen verbieten.
Als sie mit einer Kanne Tee und einem Blaubeermuffin, der dem Vergleich mit Kats Backkünsten natürlich nicht würde standhalten können, auf die Station zurückkam, sprach Kat noch immer mit dem Arzt. Isabel streckte den Kopf zu Lollys Tür hinein, und Lolly winkte sie zu sich.
Sie trank einen Schluck Tee. «Perfekt. Danke, Isabel.» Isabel setzte sich auf den Stuhl neben der Liege, und Lolly sagte: «Ehe ich es vergesse, Isabel, ich möchte dich bitten, mir nachher einen Gefallen zu tun.»
«Natürlich! Was auch immer.» Isabel fühlte sich schon ein bisschen wohler mit der Vorstellung, die Pension zu führen, und hatte sich ein Notizbuch zugelegt, in dem sie die tausend Kleinigkeiten notierte, um die sie sich kümmern musste.
«Wusstest du, dass deine Mutter Tagebuch geführt hat?»
Isabel erstarrte. «Nein.»
«Ich bin damals, als ich ihr Zimmer ausräumte, auf die Bücher gestoßen. Es sind nur zwei Stück, aus dem letzten Jahr ihres Lebens. Sie hatte im Gemeindezentrum einen Schreibkurs belegt. Damals, nach dem Unfall, habe ich die Bücher immer und immer wieder gelesen, um ihre Nähe zu spüren, ihre Stimme zu hören. Sie schrieb auf, was sie zum Abendessen plante, dass June sich einen Sonnenbrand geholt hatte, wie hübsch und erwachsen du in deinem Ballkleid ausgesehen hast – ganz alltägliche Dinge, und wenn ich das las, hatte ich das Gefühl, sie wäre bei mir.»
Isabel starrte Lolly an, überrascht, sie von ihrer Schwester sprechen zu hören, von Isabels Mutter. Mit so viel Wärme. Lolly hatte eigentlich nie viel dafür übriggehabt, in Erinnerungen zu schwelgen.
Vielleicht lag es daran, dass Lolly nicht wusste, wie viel Zeit ihr noch blieb, dachte Isabel, und ihr zog sich der Magen zusammen. Sie stand auf und trat ans Fenster, um Lolly nicht ansehen zu müssen. Der Gedanke, dass ihre Tante zu weinen anfing, war unerträglich. Sie wollte auch nichts von irgendwelchen Tagebüchern ihrer Mutter wissen. Und ausgerechnet aus dem letzten Jahr. Ihrem schlimmsten Jahr.
«Würdest du die Bücher bitte für mich suchen?», bat Lolly. «Ich weiß, im Keller herrscht Chaos, aber sie sind bestimmt in einem ihrer Koffer – du weißt doch, wie sehr sie diese altmodischen Koffer liebte. Sie hat sie auf allen möglichen Flohmärkten zusammengekauft.»
Das brachte Isabel zum Lächeln, und sie drehte sich zu ihrer Tante um. «Die mit den Aufklebern mochte sie am liebsten.» Ihre Mutter kam ständig mit einem neuen Koffer nach Hause, und dann verdrehte ihr Vater die Augen und sagte: «Ach, Allie, wo soll der jetzt wieder hin?» Woraufhin sie lächelnd erwiderte:
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