Der Sommer der Frauen
spezialisiert und backe Kuchen und Cupcakes aller Art. Und meine Muffins sprechen sich auch langsam, aber sicher herum.»
Er machte sie mit einem Kopfnicken auf einen Wal aufmerksam, der draußen in der Bucht aus dem Wasser sprang. Auf einem Ausflugsboot standen Menschen an Deck und applaudierten.
«Ich würde zu gerne irgendwann mal einen probieren», sagte Dr. Viola. «Also. Wie geht es Ihrer Mutter?»
«Sie sagt, ihr geht es gut, aber ich merke, dass sie extrem verlangsamt ist. Wenn sie die Treppe herunterkommt, hält sie sich am Geländer fest. Das hat sie früher nie getan. Und ich finde überall Haare von ihr, auf dem Kissen, in der Dusche.»
Er nickte mitfühlend. «Das liegt an der Chemotherapie. Und wie ist ihre Stimmung?»
«Eigentlich ziemlich gut. Ich glaube, es tut ihr gut, ihre Nichten und ihren kleinen Großneffen um sich zu haben. Ihre Familie – das, was davon noch übrig ist – ist wieder zusammen. Ich glaube, das bedeutet ihr mehr, als uns allen je klar gewesen ist.»
«Die Familie ist eine große Kraftquelle. Und Sie, Kat? Wie geht es Ihnen?»
«War schon mal besser. Unter Strom. Besorgt.» Sie zuckte die Achseln.
Sie wusste, dass er ein tröstendes Wort für sie parat hätte. Sie musste daran denken, wie er im Krankenhaus ihre Hand genommen hatte, als sie bei ihrer ersten Begegnung vor dem Behandlungszimmer ihrer Mutter seinen Rat gesucht hatte. «Was soll ich denn nur machen?», hatte sie ihn gefragt.
«Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort», hatte er gesagt und ihr dabei tief in die Augen gesehen. «Sie können weinen, Sie können toben, Ihre Angst verdrängen, ganz egal, Sie dürfen tun, was immer Sie tun müssen.»
Kat hatte in dem Augenblick ein derart großes Gefühl von Erleichterung verspürt, dass sie in Tränen ausgebrochen war, und er hatte ihre Hand gehalten, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Seitdem war er ihr eigentlich nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
«Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Dr. Viola? Echte Fragen?»
Er klopfte auf das verwitterte Holz neben sich. «Du kannst Matteo zu mir sagen. Setz dich her.»
Sie schlüpfte aus ihren Sandalen, setzte sich mit angezogenen Beinen auf den Steg und schlang die Arme um die Knie.
Matteo.
«Wie viel Zeit bleibt meiner Mutter noch? Es ist so schwer, darauf eine klare Antwort zu kriegen. Dr. Samuels sagte, sie hätte noch Wochen, Monate, vielleicht sogar ein Jahr, das ließe sich unmöglich sagen und dass die Chemotherapie ihr Leben vielleicht verlängern würde. Aber er sagte auch, dass die Behandlung sie schwächen wird.»
Matteo nickte. «Das ist das Wesen der Chemotherapie. Sie gibt und sie nimmt. Und wir können es tatsächlich nicht sagen, Kat, können keine konkrete zeitliche Einschätzung geben. Wir können nur versuchen, deiner Mutter das Leben so bequem wie möglich zu machen.»
«Ich weiß, dass ihr uns nur das sagen könnt, was ihr wisst, definitiv wisst, meine ich. Ich wünschte nur, du könntest mir sagen, was ich mit meinen Sorgen machen soll. Und mit der Angst.»
«Das kann ich tatsächlich. Zumindest kann ich dir sagen, was ich getan habe.»
Sie starrte ihn an. «Jemand aus deiner Familie?»
«Mein Vater. Er war der Grund, weshalb ich mich auf die Onkologie spezialisieren wollte. Bei ihm wurde der Krebs – Prostata – relativ früh erkannt, weil ich ihn dazu gedrängt habe, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Aber eigentlich nur, um sicherzugehen. Als die Diagnose dann feststand, war ich fast außer mir vor Angst. Vor allem, weil ich so viel darüber weiß.»
Wie oft sie bei der Italienischen Bäckerei durchs Schaufenster spähte, um zu sehen, was es gab, oder kurz vorbeischaute, um ihrer Mutter italienisches Brot zum Frühstück mitzubringen. Lolly liebte es, frisches Weißbrot in gutes Olivenöl zu tunken. Alonzo plauderte viel mit seinen Kunden und erzählte Geschichten aus Italien. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass er krank gewesen war.
«Er hat’s überlebt, aber ich mache mir trotzdem täglich Sorgen um ihn. Er ist der Grund, weshalb ich meine Facharztausbildung hier machen wollte. Mein Glück, dass es in Boothbay so ein gutes Lehrkrankenhaus gibt.»
«Du wirkst so ruhig und ausgeglichen. Ich hätte nicht mal ein winziges Hühnerauge bei dir vermutet.»
Er lächelte. «So sind die Menschen, oder? Alles Fassade. Die reinste Schauspielerei. Was tatsächlich in einem Menschen vorgeht, das weiß man eigentlich nie genau.»
Sie nickte. «So geht es mir gerade mit meinen
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