Der Sommer der Frauen
auf! Die
Umstände
sind schuld daran, dass Charlie seinen Vater nicht kennt.»
June fehlten die Worte. Sie war so überrascht davon, dass Isabel ihren vollen Namen nannte, so wie ihre Mutter es manchmal getan hatte, um sich ihre volle Aufmerksamkeit zu sichern, und davon, dass ihre Schwester für sie eintrat, dass sie nur Isabels Hand drücken und tonlos
Danke
sagen konnte.
Vielleicht endete die Geschichte von ihr und John ja irgendwann doch noch so wie die von Meryl Streep und Pierce Brosnan. Durch die Umstände getrennt und schließlich wiedervereint. Es war möglich. Erst letzte Woche hatte June in der Zeitung eine Reportage über ein Pärchen gelesen, das durch den Zweiten Weltkrieg getrennt worden war und sich zweiundvierzig Jahre später, nach Scheidungen und Witwenschaft, wiedergefunden hatte.
«Aber wenn das zwischen uns tatsächlich etwas Besonderes war», sagte June, «wenn ich für ihn mehr war als nur ein Mädchen, das er ‹neu und interessant› fand, wieso hat er mich dann sitzenlassen?» Tränen brannten in ihren Augen. «Wieso hat er mich diesen ganzen wunderschönen Mist glauben lassen und ist dann einfach abgehauen, als hätte all das nicht das Geringste bedeutet?»
Denn für sie war es von Bedeutung gewesen. Auf so vielen Ebenen. Und ganz besonders, was Charlie betraf.
Lolly setzte sich neben June und nahm sie in den Arm. «Er hat sich einen großartigen Menschen entgehen lassen.»
June war so gerührt, dass ihr kurz die Stimme versagte. «Danke, Tante Lolly», flüsterte sie schließlich. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Tante sich vor sieben Jahren ähnlich geäußert hätte. Sie ließ den Kopf gegen die Sofalehne sinken. «Ich habe immer gedacht, er würde mich irgendwann suchen kommen. Sich fragen, was aus mir geworden ist, wo ich stecke. Ich bin doch wirklich leicht zu finden. Als ich die Uni verließ, habe ich extra einen Eintrag in meine Akte machen lassen, dass ich in der Pension meiner Tante zu finden bin, falls jemand nach mir fragt. Ich habe eine E-Mail-Adresse hinterlassen, eine Telefonnummer, alles. Ich bin echt ein Idiot. Frances Mayweather, oder wie immer sie heißt, hat völlig recht.»
«Hör nicht auf die Schreckschraube», sagte Isabel. «Solche Leute laufen einem immer wieder über den Weg. Die darf man gar nicht beachten. Wieso solltest du dir überhaupt Gedanken darüber machen, was fremde Menschen von dir denken?»
«Stimmt», sagte June. «Ich mache mich deswegen selbst schon genug runter. Wer braucht da noch fiese alte Waschweiber?»
Isabel nickte entschlossen. «Genau. Es tut mir so leid, was du durchmachen musstest, June. Dass John dir so weh getan hat. Dass er nichts von Charlie weiß.»
June warf ihrer Schwester einen Seitenblick zu. Isabel schien es wirklich ernst zu meinen. «Ich kann euch gar nicht sagen, was mir das bedeutet. Ihr seid mir alle eine große Hilfe.»
«Wir stehen hinter dir», sagte Kat. «Darauf kannst du dich verlassen.»
Hier bei diesen Frauen zu sitzen, gab June tatsächlich das Gefühl, stärker zu sein. Ihre Schwester, die sich plötzlich wirklich wie eine Schwester anfühlte. Ihre Tante, die auf einmal mütterlich war. Ihre Cousine, die sich langsam als echte Freundin entpuppte. Sie holte einen tiefen, reinigenden Atemzug und fühlte sich sehr, sehr dankbar. Und weil sie so dankbar war, schickte sie den Wunsch ans Universum, dass Marley Mathers, die jetzt irgendwo mit ihrem Geheimnis und ihrem Buch saß, auch jemanden zum Reden hatte.
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9. Kat
A m frühen Sonntagmorgen nahm Kat, nachdem sie das Bad im obersten Stockwerk geputzt (erklärtermaßen nicht ihre Lieblingsaufgabe) und die gelben Gummihandschuhe ausgezogen hatte, eine ausgiebige, heiße Dusche und ging in die Küche, um für die Kundschaft im Hafen sechs Dutzend Muffins (Cranberry, Blaubeere, Schokolade und Mais) und vier Dutzend Scones (Waldbeere, Himbeere und weiße Schokolade) zu backen. Nach der ganzen Putzerei waren ein paar Stunden Backen so erholsam wie ein kleines Nickerchen. Wenn sie das rieselnde Mehl zwischen den Fingern spürte, den warmen, geschmeidigen, duftenden Teig zwischen den Händen knetete, die Schokoladenraspeln und die Beeren roch, dann wurde ihr so leicht ums Herz wie ihrer Mutter bei ihren Lieblingsfilmen. Oder wie Isabel beim Spielen mit dem zugelaufenen Hund. Und wie June, wenn sie mit ihrem Sohn auf dem Schoß am Esstisch saß und er sich gar nicht eng genug an sie kuscheln konnte.
Kat warf einen Blick
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