Der Sommer der lachenden Kühe
hatten sie sich zum Hinduismus hingezogen gefühlt, doch nachdem sie 1987 eine Pilgerfahrt nach Varanasi gemacht hatten, hatten sie sich von dieser Glaubens richtung wieder abgewandt. In Varanasi hatten sie, wie es dort üblich war, im Ganges gebadet, um sich von der westlichen oberflächlichen Aura zu reinigen. Leider war das Wasser des heiligen Stromes sehr unhygienisch gewesen. Infolge des Rituals waren mehrere der Frauen an Eierstockentzündung erkrankt, manche so ernst, dass sie dem Hinduismus abgeschworen hatten. Zwei Mitglieder der Gruppe, die im Ganges den meisten Schaden genommen hatten, befürworteten nunmehr den Islam, der keine Taufe durch Eintauchen zum Zeichen des Glaubens verlangte. In der Wüste, wo der islamische Glaube entstanden war, wäre eine solche Methode auch äußerst unpraktikabel.
In diesem Jahr hatte die Gruppe als Ort des Überle benstrainings Finnland ausgewählt und darum gebeten, das ödeste Moorgebiet des Landes kennen zu lernen. Das Reisebüro hatte sie nach Lestijärvi geschickt. Hier hatten sie sich an den Kommissar gewandt, um sich näher beraten zu lassen. Dem Kommissar war eingefal len, dass sich zurzeit auf dem Mäkitalo-Hof eine offizielle Untersuchungskommission aufhielt, Experten, die gleich die notwendigen Genehmigungen und weitere allgemeine Ratschläge für einen zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalt in der Einöde erteilen konnten.
Das Reisegepäck der Gruppe wurde ausgeladen. Es war höchst bescheiden, wie es sich für ein Überlebens training gehört: ein paar Knäuel Schnur, einige Stoffsä cke, eine Tüte mit Angelhaken, ein, zwei Kochtöpfe, dazu Taschenmesser und Decken. Das war schon so gut wie alles.
Laaksonen und Huuskonen zeigten ihnen auf der Karte die Landschaft am Kotkanneva-Moor und empfah len ihnen, sich dort niederzulassen. Dieses Moor sei eine echte Herausforderung für sie, hier hätten sie Gelegen heit, ihre Überlebensfähigkeit unter Beweis zu stellen. In jener Gegend blieben sie ganz sicher ungestört. Aus Wacholderzweigen könnten sie sich Bogen schnitzen, sie sollten nur die hoch gewachsenen Arten in Ruhe lassen. Im künstlichen See des Venetjoki-Flusses könnten sie Fische angeln, und in den Sümpfen gebe es reichlich Moosbeeren. Dort sollten sie ausprobieren, wie eine Frau allein mit ihrem Glauben zurechtkomme.
Mit leuchtenden Augen verschwanden die Frauen hinter ihrem Führer im Wald. Der Kleinbus wendete und fuhr davon.
Die Untersuchungskommission beendete ihren schriftli chen Bericht mit folgender Zusammenfassung:
1. Der Neusiedlerhof »Glücksschmiede«, Reg. Nr. 1:250, des Heikki Mäkitalo und seiner Frau Anna ist als total zerstört anzusehen.
2. Die Arbeit ist mit Sorgfalt und sachkundig durchgeführt worden. Nichts ist verschont worden, die Zerstörung ist absolut vollständig.
3. Die Waldflächen sind in einen Zustand versetzt worden, der die besten Voraussetzungen für einen natürlichen Nachwuchs bietet.
4. Der gesamte Gebäudekomplex des Hofes ist elimi niert und damit abgesichert worden, dass künftig weder Erhaltungs- noch Instandsetzungsarbeiten erforderlich werden.
5. Die Felder sind vollständig und endgültig brachge legt, sodass für den Staat künftig keinerlei diesbe zügliche Kosten entstehen.
6. In Anbetracht der o. g. Faktoren stellen wir fest, dass die Besitzer des genannten Hofes der Volks wirtschaft einen großartigen Dienst erwiesen ha-ben, sie sollten daher in keiner Weise gerichtlich
belangt werden. Der finnische Staat hat keinerlei Forderungen an sie zu stellen. Stattdessen sollte ihnen bei passender Gelegenheit Anerkennung zu teil werden, zum Beispiel durch Überreichung eines Ehrenwimpels oder eines angemessenen Präsents.
Nachdem die beiden Experten ihr vorläufiges Protokoll unterschrieben hatten, leerten sie ihre Whiskyflasche und zündeten sich Zigaretten an. Forstwirt Huuskonens scharfer Blick entdeckte im Graben eine alte, gut erhal tene Kaffeemühle. Als Mann vom Fach erkannte er sofort, dass das Gerät aus den zwanziger Jahren stammte und ziemlich wertvoll war. Im Behälter für die Bohnen fand er ein Stück rosa Papier, auf dem mit schöner Schrift ein kleines Gedicht geschrieben stand:
Meinem Taavetti-Schätzchen
ein warmes Plätzchen,
viel Freud und Wonne
und immer Sonne
wünscht Leena Niemelä 1991.
Neben ihre Unterschrift hatte die Verfasserin eine hüb sche Rosenknospe gemalt. Forstwirt Huuskonen räus perte sich, steckte das Blatt Papier in seine
Weitere Kostenlose Bücher