Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
bedächtig und genoss zweifellos ihr Unbehagen, »dass eine solche Mitteilung die Leute im Dorf noch überzeugter sein lässt, ich sei ein Dieb.«
Überrascht blickte sie auf. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«
»Das mag daran liegen, dass Sie es noch immer für ehrenhaft halten, was ich während des Krieges getan habe«, erklärte er düster.
Byrne wandte sich zu ihr und zwang sie durch diese Bewegung, ihn anzusehen. Jane versuchte, unbeeindruckt zu bleiben, aber …
Byrne hatte sehr blaue Augen. Eisblaue Augen.
»Drei Fragen, Lady Jane.«
»Hm?« Sie riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf die Unterhaltung. Sie nickte ihm leicht zu, dass er fortfahren solle.
»Erstens – wie kommen Sie darauf, dass ich mein Ansehen bei den Leuten verbessern möchte? Es könnte mir doch gefallen, in Ruhe gelassen zu werden.«
»Und warum schenken Sie dann der Tatsache Beachtung, dass niemand im Dorf Sie ansieht?«, konterte sie und empfand einen kleinen Triumph, als er anerkennend die Schultern zuckte.
»Nun gut. Frage zwei: Wie sieht diese drastische Maßnahme aus, die Sie empfehlen?«
Sie lächelte verschmitzt. »Wir beweisen, dass Sie nicht der Straßenräuber sind, was sonst.«
»Und das würde ich erreichen, indem ich …«
»… den echten fange«, ergänzte sie sachlich. Sie registrierte, dass ihr Vorschlag ihn belustigte, aber untergründig konnte sie auch Verwunderung erkennen.
»Das führt mich zu meiner dritten und letzten Frage.« Hier legte Byrne eine Pause ein, entweder um seine Worte besonders zu betonen oder weil die Gedanken ihm so rasch durch den Kopf wirbelten. »Was soll das heißen: ›wir‹?«
»Mr Worth« fing sie an und nahm die vorbildlichste Vortragshaltung ein, die sie je an Mrs Humphrey’s School for Elegant Ladies gelernt hatte – und eine anspruchsvollere Lehrerin als Mrs Humphrey konnte es nicht geben. »Ich weiß, dass Sie für Ihre Tricks und Täuschungen bekannt sind. Aber ich weiß auch, dass Sie in jener Zeit mit einem Partner gearbeitet haben, der zurzeit in London lebt. Bedenkt man, dass ich die Leute in diesem Dorf mein Leben lang kenne, wäre ich der ideale Ersatz für ihn.«
Byrne lehnte sich gegen den Stein und zog sich aus ihrer Plauderei wieder hinter die Fassade kühler Höflichkeit zurück.
»Sie versuchen, mich zu bessern? Sich um mich zu kümmern? Ich habe es nicht nötig, mich von einer Frau umsorgen zu lassen«, bemerkte er schroff. Seine Mundwinkel, die einem Lächeln nahe gewesen waren, zogen sich herunter.
»Gut, denn ich habe nicht die Absicht, noch einen Mann zu versorgen«, entgegnete sie.
Eine schwarze, geschwungene Braue schoss hoch. »Jane, es gibt doch bestimmt tausende andere Dinge, mit denen Sie sich beschäftigen könnten.«
Sie hielt den Atem an, als sie ihren Namen hörte. Es war das erste Mal, seit sie sich begegnet waren, dass er die Förmlichkeit der Anrede fallen gelassen hatte. »Berichtigung: Ich habe tausend andere Dinge, die ich erledigen muss . Eine kleine Erholung würde ich sehr willkommen heißen.«
Er gab keine Antwort. Genauso wenig wie Jane, die ihren Korb in die eine Hand nahm und mit der anderen ihre Röcke raffte.
»Ich gebe Ihnen ein paar Tage Zeit. Innerhalb dieser Frist dürfte es dem berüchtigten Blue Raven doch wohl gelingen, ein oder zwei Pläne zu ersinnen, wie wir diesen Straßenräuber ausfindig machen und in die Flucht schlagen könnten? Ich wäre sehr enttäuscht, wenn uns das nicht gelänge.«
Wieder gab er keine Antwort, sodass Jane nach einem unbehaglichen Moment des Wartens kurz knickste und über den felsigen Untergrund auf den Hauptweg zurückging.
»Lady Jane«, rief er ihr nach, als sie den Weg erreicht hatte. Sie drehte sich um. »Stimmt es, dass Sie im Alter von fünf Jahren nackt über den Dorfplatz gelaufen sind?«
Jane spürte, dass sie wieder errötete, was Byrne als Ja wertete.
Dann lächelte er sie an.
Später in jenem Sommer, als die Witterung sich bereits dem Herbst zuneigte, konnte Jane zurückschauen und diesen Augenblick in der Zeit fest verankern – der Augenblick, in dem Byrne Worth sie so faszinierend lasziv angelächelt hatte. Es war der Moment, in dem ein Schlag die Erde erschütterte und die Winde begannen, ihre Richtung zu ändern … es war der Moment, in dem die Hitzewelle des Jahres 1816 begann.
10
Es war eine Hitzewelle, wie es sie im vergangenen Jahrzehnt nicht gegeben hatte und wie das gesamte Jahrhundert sie nicht wieder erleben sollte. Sie breitete
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