Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Schlussfolgerung zu ziehen.
»Soll ich mich fragen, worüber Sie eigentlich reden?«, fragte Byrne im Tonfall düsterer Vorahnung.
»Natürlich darüber, dass Sie Blue Raven sind«, erwiderte Jane.
Blue Raven. Der berüchtigte englische Spion, dessen Heldentaten es während des Krieges auf die Titelseiten der Times geschafft hatten und dessen Identität seither geheim gehalten worden war.
Aber die Ereignisse vor einem Monat, also die Enttarnung und Vernichtung von Blue Ravens Erzfeind durch Byrne und dessen Bruder Marcus, hatten die Spekulationen aufs Neue angefacht. Marcus hatte sich geweigert, die Gerüchte zu bestätigen. Und hier in dieser verlassenen Gegend … Jane bezweifelte, dass überhaupt jemand von ihnen gehört hatte. Byrne eingeschlossen.
»Eines Tages werde ich Marcus den Hals dafür umdrehen, dass er sich einen solch lächerlichen Namen ausgedacht hat«, brummte Byrne, den Blick weiterhin auf das Flüsschen gerichtet. »Schmeckt Ihnen der Tee?«, erkundigte er sich dann.
»Sehr sogar«, entgegnete sie und ihre steife Haltung schmolz ein wenig dahin. Sittsam senkte sie den Blick. »Es ist in der Tat eines der aufmerksamsten Geschenke, die ich je erhalten habe.«
Er errötete – was Jane bei dem Mann, der vor ihren Augen nackt aus dem See gestiegen war, nie für möglich gehalten hatte. Sie stupste mit ihrer Stiefelspitze gegen den Korb.
»Wollen Sie ein Picknick machen?«
»Wie bitte? Oh, nein«, erwiderte er, als ihm klar wurde, worauf sie anspielte. »Ich, äh, ich wollte Ihnen nur den Korb zurückbringen. Selbstverständlich ohne Inhalt.«
»Das ist nicht nötig. Besonders weil ich heute im Dorf etwa ein Dutzend Flechtkörbe gekauft habe.«
»Und wahrscheinlich einen überhöhten Preis bezahlt haben«, ergänzte er. »Jede Wette, dass die Händler die Preise erhöhen, sobald sie Ihre Kutsche sehen.«
Jane zog die Augenbrauen hoch. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ehrlich gesagt dachte ich, dass ich die Wirtschaft vor Ort ein wenig unterstützen sollte.«
Schweigen senkte sich einen Moment lang auf sie, als sie auf das plätschernde Wasser starrten.
»Wie auch immer, hier ist Ihr Korb.« Er drehte seinen Stock um und nutzte den Silberknauf, um besagten Gegenstand aufzuheben und ihn ihr vorsichtig in den Schoß plumpsen zu lassen.
»Sie sind ziemlich geschickt mit dem Ding«, bemerkte Jane.
Byrne betrachtete seinen Stock und rollte ihn zwischen den Handflächen. Mit jeder Vierteldrehung fing der Knauf das Sonnenlicht ein. »Er ist mein ständiger Begleiter … jetzt schon seit über einem Jahr. Da sollte man erwarten, dass ich einigermaßen geschickt damit umgehe.«
»Ich habe mich nur gewundert, weil Sie so bemüht sind, ihn loszuwerden«, erwiderte Jane und erntete für diese Bemerkung einen überraschten Blick. Endlich. Es war ihr gelungen, ein klein wenig Gefühl in seine ruhige, gleichmütige Haltung zu bringen.
»Wer hat Ihnen denn das verraten?«, wollte er wissen.
»Sie selbst. Anfangs damit, dass Sie schwimmen gegangen sind. Ganz besonders nachdem Sie … wie hatten Sie es doch gleich formuliert? … nachdem Sie dem Doktor geraten hatten, dass er etwas ausgesprochen Unanständiges mit seinem Rat tun solle.« Sie lächelte. »Das verrät Ihre Absichten. Armer Stock. Er wird sich verabschieden müssen, ohne einen Freund zurückzulassen.«
Byrne Worth reagierte mit der geschmeidigen Wortgewandtheit eines Politikers. »Vielleicht schwimme ich einfach nur gern und habe auf angenehmere Temperaturen gewartet.«
»Genau. Sie haben einfach nur gewartet, bis die Aale zu voller Größe angewachsen sind.«
»Ich schwimme jetzt schon seit Wochen im See, aber Aale sind mir noch nicht begegnet. Die gibt es doch in diesen Seen gar nicht.«
»Aber es müsssen Aale gewesen sein. Ich kann mich nur zu gut an sie erinnern. Als Jason mir das Schwimmen beigebracht hat, sind sie ganz nah an mich herangekommen mit ihren langen, glitschigen Körpern.« Angewidert zog sie die Nase kraus.
»Seit damals sind Sie nicht mehr im See schwimmen gewesen?«, fragte er, und als sie den Kopf schüttelte, fügte er hinzu: »Was für eine Verschwendung dieses vollkommenen Sees.«
»Ich frage mich auch«, fuhr Jane fort, während sie ein Lächeln unterdrückte, »wie es sein kann, dass jemand, der die Pfarrersfrau am vergangenen Weihnachtsfest angeknurrt hat, so freundlich ist, sich um meinen betrunkenen Bruder zu kümmern?«
Er zuckte die Schultern. »Ich kann dieses vorübergehende
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