Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Mund offen, aber in Anwesenheit von Lady Jane blieb ihr kaum etwas anderes übrig als ein knappes Nicken und eine gemurmelte Begrüßung. Victoria machte es besser als ihre Mutter. Nach einem anmutigen Knicks begrüßte sie den notorischen Eremiten und mutmaßlichen Straßenräuber mit dem Worten: »Wie geht es Ihnen? Ich bin sehr erfreut, einen von Lady Janes Londoner Freunden kennenzulernen.«
Der verschwörerische Blick zwischen Jane und Victoria blieb ihm ebenso wenig verborgen wie Janes Grinsen, als Lady Wiltons Unterkiefer noch weiter herunterklappte. Grundgütiger, eigentlich musste sie ihn sich jetzt ausgerenkt haben. Als Jane die Brauen hochzog, beschloss Byrne, dass er mitspielen musste.
»Inzwischen eher ein Freund aus Reston als aus London«, erwiderte er und verbeugte sich höflich über Victorias Hand. »Schließlich sind wir hier schon fast so lange bekannt wie in London.«
»Victoria!«, rief Lady Wilton, nachdem ihr Kiefer wieder an seinen richtigen Platz zurückgefunden hatte. »Ich muss mit dir sprechen. Sofort! « Victoria wurde von ihrer Mutter fortgezerrt, die auf ihrem Weg Penelope und Mr Brandon einsammelte und erst ein gutes Stück entfernt wieder stehen blieb. Byrne schaute Jane an, die nur leicht mit den schmalen weißen Schultern zuckte. Blieb noch Dr. Berridge – auf den jetzt alle Augen gerichtet waren.
Glücklicherweise verfügte Dr. Berridge über bessere Manieren als seine erhoffte Schwiegermutter.
»Mr Worth, wie geht es Ihnen? Ich bitte um Entschuldigung, dass ich bisher noch nicht den Weg in Ihr kleines Haus gefunden habe – ich bin selbst erst vor Kurzem nach Reston gezogen.«
»Ach ja, der neue Doktor. Sie haben sich vor einigen Monaten der Gemeinde angeschlossen«, erwiderte Byrne und betrachtete den Mann, der vor ihm stand. Er war groß und sah so gut aus, dass er bei seiner Ankunft im Dorf für Gerede gesorgt hatte – das so laut gewesen war, dass es sogar Byrnes Ohren erreicht hatte. Das Auftreten des Arztes zeugte von einem offenen, ehrlichen Wesen; er schien zu den Menschen zu gehören, die sich erst alle Seiten anhörten, bevor er sich seine Meinung bildete. Das könnte nützlich sein.
Wenn er nur nicht Arzt wäre.
»Darf ich mich nach Ihrer Verletzung erkundigen?« Dr. Berridge strahlte professionelle Neugierde aus. Dann kam er wieder zu Sinnen und wurde pflaumenrot. »Mir wird gerade klar, dass dies wohl nicht der passende Ort für solche Nachfragen ist«, fügte er hastig hinzu. »Ich weiß, dass Sie bei meinem Kollegen Dr. Lawford gewesen sind. Aber ich verfüge über einige Erfahrung mit Kriegsverletzungen, Wunden durch Bajonette und so weiter, und es gibt so viele Therapien, die die Muskeln stärken …«
»Danke, Sir. Ein andermal vielleicht«, gab Byrne gleichmütig zurück und hielt kurz inne, bevor er ein wenig barsch hinzusetzte: »Es war eine Kugel. Kein Bajonett.«
Dr. Berridge nickte. Auf der Suche nach einem anderen Thema ließ er den Blick eifrig durch den Saal schweifen.
»Lady Jane, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen. Ich möchte gern Ihren Vater begrüßen.«
Byrne wandte den Kopf und schaute in die Blickrichtung des Doktors. Der ältere Gentleman, der dort saß, war ihm vertraut, stellte er fest. Es war der Mann, mit dem er Jane am ersten Tag der Hausparty bei den Hampshires gesehen hatte. Der Duke of Rayne saß dort drüben mit einer Pfeife in der Hand und wippte mit dem Fuß im Takt der Musik. Eine beleibte Frau mittleren Alters hatte neben ihm Platz genommen und auch sie klopfte mit dem Fuß den Takt mit.
In Byrnes Augen sah der Duke of Rayne so gesund aus, dass seine Bekanntschaft mit dem jungen Doktor nicht unbedingt professioneller Natur sein musste. Aber wenn nicht – warum schienen die beiden dann so gut befreundet zu sein, dass Dr. Berridge sich von Jane verabschiedete und zum Duke hinüberging?
»Sie müssen Dr. Berridge vergeben«, sagte Jane und zog Byrnes Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Er ist einfach nur nervös. Ich befürchte, an Ihnen klebt inzwischen der Ruch der Ehrlosigkeit. Trotzdem, ich glaube, er wäre ein guter Freund, auf den man nicht verzichten sollte.«
Byrne schaute auf Jane hinunter. Er war zwar nicht so groß wie sein Bruder Marcus, aber immer noch nennenswert im Vorteil, als er in Lady Janes Gesicht blickte. Und in den recht tiefen Ausschnitt ihres Kleides, aus dem sich die Hügel der weichen, weißen Brüste erhoben … nein, mahnte er sich, und zwang seinen Blick zurück auf ihr
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