Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
Rückkehr in die Gesellschaft hatte sie sich im Innersten von all dem nicht mehr berührt gefühlt.
Sie wollte die Verheißung. Sie wollte diesen Augenblick, in dem man vergaß zu atmen und in dem man fortgeschwemmt wurde von einer Ahnung dessen, was geschehen könnte.
In diesem Moment brach die Musik ab.
Und sie sah ihn.
Byrne Worth stand im Eingang auf der anderen Seite der Halle. Die schwarze Nacht umrahmte seine dunkel gekleidete Gestalt. Sein blasses Gesicht und das blendend weiße Halstuch ließen ihn körperlos wirken, bedrohlich, wie eine Gestalt aus einem Schauerroman. Einige der Damen rangen um Atem, als sie seiner gewahr wurden.
Kein Wunder, dass er im Dorf als Bösewicht galt.
Sein eisblauer Blick glitt durch den Raum, ohne dass einer der Anwesenden ihn erwiderte. Jeder schien sich zu ducken oder in diesem Moment mit der faszinierten Betrachtung der Wandvertäfelung beschäftigt zu sein. Alle – außer Jane.
Anders als die übrigen Gäste wich Jane nicht aus, als sein Blick auf ihren traf. Sie hielt ihn offen fest, und sie freute sich. Aber gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie gar nicht in der Lage war, den Blick abzuwenden.
Er sah gefährlich aus.
Und nervös.
Stimmen begannen um sie herum zu summen und zu brummen, aber Janes Blick war fest mit Byrnes verankert.
»Was um alles in der Welt …«, bemerkte Lady Wilton atemlos.
»Ist das dieser … Mr Worth?«, wisperte Penelope, während ihre Mutter zornig nickte.
»Wer ist Mr Worth?«, fragte Mr Brandon.
»Ich habe dir von ihm erzählt«, antwortete Penelope. »Das ist der, den Mutter für den Straßenräuber hält.«
»Nicht nur ich«, schnaufte Lady Wilton, »das gesamte Dorf weiß , dass er dieser Dreckskerl ist. Schon viel zu lange führt er deinen Vater an der Nase herum. Dein Vater wird es nicht dulden, dass er sich unter anständigen Leuten aufhält. Wie kann er es nur wagen …«
Während Lady Wilton mehr und mehr in Rage geriet, zog Jane ihren Bruder beiseite. »Jason, du musst zu Mr Worth gehen und ihn begrüßen«, flüsterte sie ihm eindringlich zu.
»Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?«, schimpfte Jason. »Er ist hier nicht unbedingt willkommen.«
»Aus drei Gründen. Erstens bist du der Sohn des Dukes of Rayne. Du übernimmst die Führung. Zweitens verdient er deinen Dank, weil er sich um dich gekümmert hat, als du es brauchtest. Doch, das hast du«, bekräftigte sie, bevor er protestieren konnte.
»Und drittens?« Jason seufzte zögerlich.
»Und drittens wird es auf diesem Fest in aller Öffentlichkeit zur Lynchjustiz kommen, wenn du als Angehöriger des Hochadels ihn nicht begrüßt. Lady Wilton bringt sich schon in Stimmung. Die Leute werden es nicht dulden, dass sich hier jemand aufhält, den sie als gefährlichen Außenseiter betrachten.«
Jason schaute auf und bemerkte den wachsenden Zorn der Dorfbewohner. Mr Cutler und Sir Wilton standen der Tür am nächsten. Als tonangebende Gentlemen des Dorfes gehörte es allgemein zu ihren Aufgaben, Neuankömmlinge zu begrüßen. Aber weder der eine noch der andere hatten sich von der Stelle gerührt. Vielmehr verhielt es sich so, dass Mr Cutlers Gesicht sich vor Zorn dunkelrot gefärbt hatte; bei ihm könnten sich zu viel Punsch und ein übertriebener Sinn für Autorität schon bald als explosive Mischung erweisen. Er sagte Sir Wilton etwas ins Ohr, woraufhin dessen Gesichtsfarbe sich der Mr Cutlers anglich. Und den Blicken nach zu urteilen, würde ihr Ausbruch sich in jedem Fall gegen Byrne Worth richten.
»Dann bist du mir aber was schuldig«, murmelte Jason.
»Wenn du das ordentlich erledigst, ist dir das ganze Dorf was schuldig.«
Jason straffte seinen Frack und seine Schultern. Und dann ging es los: Mit einer Grandezza, wie sie nur an den besten Schulen vermittelt und über Generationen unter Aristokraten weitergegeben werden konnte, schritt Jason durch den Saal und blieb vor Byrne Worth stehen. Und verbeugte sich kurz.
Sämtliche Gäste im Saal schauten zu, als der Marquis dem Straßenräuber die Hand entgegenstreckte. Ohne mit der Wimper zu zucken warteten sie, bis Letzterer seinen Stock – die Waffe, die er stets dabei hatte – in die andere Hand wechselte und die ausgestreckte Hand ergriff. Und sie schüttelte.
Die Worte, die gewechselt wurden, konnte Jane zwar nicht verstehen. Aber Jason grinste erfreut und schlug Byrne in einer Art auf die Schulter, die unter Männern seit Langem als Zeichen freundschaftlicher Akzeptanz galt. Solche
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