Der Sommer der Lady Jane (German Edition)
verzichtet, in den Festsaal zurückzukehren. Er hatte sich von Dobbs, der neben der abfahrtbereiten Kutsche gewartet hatte, nach Hause fahren lassen. Er spürte, wie in seinem Bein der brennende Schmerz wieder einsetzte – dabei brach die Nacht erst an. Er brauchte einen heißen Brandy, eine kalte Kompresse und sein Zuhause. Er musste fort von diesen Leuten, bevor er wie ein böses Tier nach ihnen schnappte.
Obwohl es schon seltsam ist, wie gut es sich anfühlt, überhaupt wieder auf die Jagd gehen zu können, stellte er fest, als er in den frühen Morgenstunden die verkrampften Muskeln seines Beins massierte. Als er seinem Bruder Marcus in London geholfen hatte, war er zu verzweifelt gewesen, um den Nervenkitzel zu genießen, den es mit sich brachte, sich unauffällig in der Schusslinie zu bewegen und die Sinne des Sehens und des Hörens zu nutzen, die er im Laufe so vieler Jahre geschärft hatte. Aber es hatte sich gut angefühlt, sie wieder einzusetzen. Es hatte ihm, wenn auch nur für wenige Minuten, das Gefühl gegeben, wieder ein Ziel zu haben. Und das auch in Anbetracht der Ungewissheit, ob das, was er und Jane mitangehört hatten, überhaupt etwas mit den Raubüberfällen zu tun gehabt hatte. Und trotz der Tatsache, dass er die Spur der beiden Männer verloren hatte.
Jane würde frohlocken, wenn er es ihr erzählte.
Der Gedanke an Jane verwandelte sich sofort in den Gedanken daran, sie zu küssen. Vielleicht konnte er für sein Handeln gestern Abend die milde Sommernacht verantwortlich machen oder die Sterne oder die Fröhlichkeit der anderen Feiernden. Vielleicht auch die Aufregung über das Geschehen und die Erleichterung, die Feindseligkeit der Dorfbewohner überlebt zu haben. Das alles wären perfekte Entschuldigungen für diesen sündigen Kuss. Doch daran glaubte Byrne nicht.
Die Wahrheit war, dass er sich schon seit Wochen in diese Richtung bewegte, seit damals, als er ihr die Teedose geschickt und seine Freundschaft angeboten hatte. Vielleicht sogar schon seit dem Tag, an dem er sie so stolz und so traurig zugleich mit ihrem Vater auf dem Fest bei den Hampshires gesehen hatte.
Natürlich wusste Byrne nicht, wie Jane sich nach diesem Kuss verhalten würde. Ob sie die Kokette spielen und zu weiteren Avancen ermuntern würde. Oder ob sie jeden Gedanken daran verdrängen und so tun würde, als sei nichts geschehen. Er vermutete das Letztere – leider.
Kurz nach Tagesanbruch gab Byrne den Versuch zu schlafen auf. Sein Bein war immer noch ein wenig steif, gehorchte ihm aber. Er trat auf die Veranda hinaus und blickte über den von Morgendunst verhangenen See. Der Himmel war klar, sodass die Sonne bald durchbrechen und den Dunst schnell vertreiben würde; im Moment schien es, als gäbe es nichts auf der Welt außer seinem Haus und den See.
Byrne konnte hören, dass Dobbs in den Ställen weiter unten vor sich hin pfiff. In Kürze würde der Mann sein Pferd satteln, um ins Dorf zu reiten und frisches Brot und frische Eier zu holen – herzhafte Männer brauchen ein herzhaftes Frühstück, wie er zu sagen pflegte.
Probeweise verlagerte Byrne sein Gewicht auf das verletzte Bein. Es schmerzte leicht, aber keinesfalls so schlimm, dass es ihn davon abhielt, sich zu bewegen. Würde er vernünftig sein, würde er mit dem Schwimmen bis zum Nachmittag oder bis zum nächsten Tag warten. Aber er wollte nicht vernünftig sein.
Sie hatte gesagt, dass sie heute mit den Abschriften aus dem Buch des Friedensrichters vorbeikommen würde; er konnte doch nicht den ganzen Morgen herumsitzen und auf sie warten. Nein, er wollte schwimmen. Er wollte in dieser kurzen Stunde alle quälenden Gedanken aus seinem Kopf vertreiben und wieder ruhig und gelassen werden.
Es gab nur ihn und das Wasser und den grauen Dunst, als er sich bis auf die Unterwäsche auszog und in den See eintauchte.
Michael und Joshua gelang es, die Jolle den Fluss hinunter und bis auf den Merrymere zu rudern, ohne dass irgendjemand Krach schlug – was Michael als gutes Omen wertete. Ja, er würde es tatsächlich wahr werden lassen! Niemand würde ihn aufhalten können!
Die Riemen glitten sauber durch das Wasser, obwohl Joshua an einem saß und Michael an dem anderen (Joshua war erheblich kleiner als Michael). Die leichte Neigung zu einer Seite, die daraus folgte, machte auf dem Weg zum Hohlkopf mehrere Korrekturen notwendig.
Michael bezweifelte, dass der Hohlkopf sich in der Mitte des Sees befand. Er war überzeugt, dass es keinen Baumstamm gab, der
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