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Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Der Sommer der Lady Jane (German Edition)

Titel: Der Sommer der Lady Jane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Noble
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lang genug war, um in der Mitte des Merrymere bis auf den Grund zu reichen. Nein, der Stamm ragte etwa dreißig Meter vom östlichen Ufer entfernt aus dem See.
    Es war sonnig und klar, als sie ankamen. Michael streckte die Hand aus und hielt sich am Hohlkopf fest, um mit dem Boot sein Gleichgewicht zu finden. Trotz des klaren Tages ragte der Baumstumpf so bedrohlich wie ein Dämon aus dem tiefen Wasser.
    »Jiiippiiieee!«, schrie Michael glücklich. »Er ist ganz glitschig!«
    »Wie ekelhaft! Ich will auch mal anfassen.« Joshua stand auf und brachte durch seine Hast die Jolle beinahe zum Kentern.
    »Joshua, setz dich hin. Ich hab dir doch gesagt, dass du das Boot ruhig halten sollst, wenn ich aufstehe!«
    Joshua gehorchte und ergriff die Riemen, während Michael aufstand und auf der Planke balancierte, die als Sitzbank diente. Kaum hatte Michael sich aufgerichtet, setzte er auch schon einen Fuß auf den von Moos und Matsch rutschigen Baumstamm.
    »Vorsicht, Michael«, wisperte Joshua, während sein Bruder das Gewicht auf den Hohlkopf verlagerte und rasch das zweite Bein nachzog.
    Er streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, hielt sich für zwei Sekunden, drei, vier, fünf …
    »Ich kann es!«, schrie er in die stille Morgenluft hinein. »Ich stehe auf dem Hohlkopf!«
    Es war zu erwarten gewesen, dass er in genau diesem Moment die Balance verlor und fiel.
    Michael machte sich im Fallen krumm, platschte kopfüber ins Wasser, tauchte wenige Fuß entfernt wieder auf und lachte. Er hatte es geschafft! Er hatte auf dem Hohlkopf gestanden!
    »Die andern Jungs werden es nie und nimmer glauben!«, rief er und schob sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, während er Wasser trat. Minnie würde ihn natürlich ausschimpfen, weil er vollkommen durchnässt war, und wenn Mr Morgan herausbekam, dass sie seine Jolle gestohlen hatten, würde er ihnen bei lebendigem Leibe das Fell über die Ohren ziehen … aber all das kümmerte ihn nicht, denn in diesem Augenblick war er der König des Sees.
    »Ich will es auch versuchen«, rief Joshua, stand auf und stellte sich auf die Sitzplanke.
    »In Ordnung«, erwiderte Michael auf dem Rückweg zum Hohlkopf. »Aber lass mich zuerst ins Boot klettern.«
    Joshua hörte leider nicht auf ihn. Denn schon setzte er den Fuß auf den Stamm und zog den anderen rasch nach, viel zu rasch – er stieß dabei das Boot fort, das sofort abtrieb.
    »Nein, Joshua!«, rief Michael, aber es war schon zu spät.
    Joshua hatte sich zu hastig bewegt. Er rutschte mit dem Fuß, den er nachgezogen hatte, vom Hohlkopf ab. Als er stürzte, prallte er mit dem Kinn auf den Stamm.
    Michael wusste nicht, was er tun sollte, er wusste nicht mehr, wie man Arme oder Beine bewegte – er nahm nur noch wahr, dass er laut zu schreien begann, als sein Bruder im Wasser versank.
    Byrne war etwa eine Stunde lang geschwommen, als ein Schrei die kühle Morgenstille zerriss. Die Sonnenstrahlen hatten den Dunst über dem Wasser bereits vertrieben, und sie blendeten ihn, als er sich suchend umschaute. Dann sah er den Jungen.
    »Hilfe! Hilfe! Joshua!«, schrie der Junge, der sich hundert, vielleicht auch hundertfünfzig Meter von Byrne entfernt im Wasser befand, gleich neben dem Baumstamm, den die Einheimischen den Hohlkopf nannten. Einige Hundert Meter weiter trieb eine kleine Jolle auf dem See.
    »Joshua!«, schrie der Junge und schluckte Wasser, als er mit dem Kopf untertauchte.
    Byrne zögerte nicht. Schneller als je zuvor schnitt er durch das Wasser, schneller, als er es seinem Körper je abverlangt hatte.
    Endlich erreichte er den Jungen – es war Michael Wilton, der Junge, der den Apfel nach ihm geworfen hatte. Byrne erkannte ihn, als Michael auftauchte, um nach Luft zu schnappen und wieder nach seinem Bruder zu rufen. Byrne packte ihn am Hemdkragen, ehe er wieder unterging.
    »Was ist passiert?«, rief Byrne. Michael schlug mit den Armen um sich, bis ihm bewusst wurde, dass Byrne ihn festhielt.
    »Ist mit dem Kopf aufgeschlagen … ist untergegangen! Hab ihm gesagt, dass er es nicht machen soll!«
    Byrne legte Michaels Arme um den Baumstumpf. »Bleib hier und halt dich fest!«, befahhl er ihm, bevor er tief einatmete und untertauchte.
    Die Sicht war schlecht in dem Wasser, das von Algen getrübt wurde. Byrne tauchte tief, sehr tief hinunter. Mit jedem Armstoß, der ihn weiter in die Tiefe brachte, sank die Temperatur; er benutzte den Stamm, um sich voranzutasten, glitt an ihm entlang, während er seine Umgebung

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