Der Sommer, der nur uns gehoerte
Kalifornien lebte, wo immer die Sonne schien.
»Mein Dad hat mir in letzter Minute noch ein Ticket geschickt. Der Flieger hat ewig gebraucht bei der Landung, weil es so geschneit hat, deshalb bin ich erst so spät angekommen. Und weil Jere und mein Dad noch in New York sind, dachte ich, ich komme erst hierher.« Er kniff die Augen zusammen und musterte mich.
»Was?«, fragte ich, auf einmal verlegen. Ich strich mir die Haare glatt, die noch völlig zerzaust waren vom Liegen, und wischte mir unauffällig über die Mundwinkel. Hatte ich im Schlaf gesabbert?
»Du hast das ganze Gesicht voller Schokolade.«
Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. »Gar nicht wahr«, sagte ich, »das ist bestimmt bloà Dreck.«
Amüsiert blickte er mit hochgezogenen Augenbrauen auf die fast leere Schachtel mit den Schokobrezeln. »Hast du gleich den ganzen Kopf reingesteckt, damitâs schneller geht?«
»Hör auf«, sagte ich, konnte mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Das einzige Licht im Raum kam vom flackernden Fernsehbild. Es fühlte sich einfach unwirklich an, so mit ihm dazusitzen. Schon eine seltsame Fügung des Schicksals! Ich zitterte und zog mir die Decke bis zum Hals.
»Soll ich Feuer machen?«, fragte er und zog seinen Mantel aus.
Spontan sagte ich: »Ja, bitte! Irgendwie habe ichâs nicht hingekriegt.«
»Dafür muss man ein Händchen haben«, sagte er auf seine arrogante Art. Inzwischen wusste ich aber, dass die nur gespielt war.
Alles war so vertraut. Genau so waren wir schon einmal hier gewesen, Weihnachten vor zwei Jahren. So viel war seitdem geschehen. Er lebte mittlerweile ein völlig anderes Leben und ich auch. Und trotzdem â in gewisser Weise schien es mir, als stünde weder Zeit noch Raum zwischen uns. In gewisser Weise schien alles wie damals zu sein.
Vielleicht ging es ihm genauso, denn auf einmal sagte er: »Vielleicht ist es schon zu spät für ein Feuer. Ich glaub, ich hau mich hin.« Abrupt stand er auf und ging aus dem Zimmer. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Schläfst du hier unten?«
»Jep«, antwortete ich. »Schön in meine Decken gekuschelt.«
Als er an der Treppe war, stoppte er kurz. »Frohe Weihnachten, Belly. Es ist schön, dich zu sehen.«
»Gleichfalls.«
Â
Kaum war ich am nächsten Morgen wach, hatte ich so ein komisches Gefühl. Ich war mir sicher, dass er schon weg war. Keine Ahnung, warum ich das dachte. Ich rannte zur Treppe, um nachzuschauen, und gerade als ich um das Ende des Geländers bog, stolperte ich über meine Pyjamahose, fiel flach auf den Rücken und knallte noch dazu mit dem Kopf auf.
Mit Tränen in den Augen lag ich da und starrte zur Decke. Es tat irrsinnig weh. Auf einmal tauchte Conrads Kopf über mir auf. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er mit vollem Mund. Vermutlich war er gerade dabei gewesen, sein Müsli zu essen. Er wollte mir aufhelfen, doch ich winkte ab.
»Lass mich«, murmelte ich. Wenn ich heftig genug zwinkerte, konnte ich meine Tränen hoffentlich noch zurückdrängen.
»Bist du verletzt? Kannst du dich bewegen?«
»Ich dachte, du wärst schon weg«, sagte ich.
»Nein, nein, ich bin noch da.« Er kniete sich neben mich. »Ich will mal versuchen, ob ich dich hochheben kann.«
Ich schüttelte den Kopf.
Conrad legte sich neben mich, und wir müssen ausgesehen haben, als wollten wir auf den Holzdielen Schneeengel machen. »Wie sehr tut es weh, auf einer Skala von eins bis zehn? Fühlt es sich an, als hättest du dir was verrenkt?«
»Auf einer Skala von eins bis zehn? Elf!«
»Du warst immer schon ziemlich wehleidig«, sagte er, aber er klang doch besorgt.
»Ich stell mich nicht an!« Ich war entschlossen, ihm das Gegenteil zu beweisen. Ich merkte ja selbst, wie weinerlich ich mich anhörte.
»Hey, mit so einem Sturz sollte man nicht spaÃen. Das sah aus wie in einem Zeichentrickfilm, wenn ein Tier auf einer Bananenschale ausrutscht.«
Nun war mir nicht mehr nach Weinen zumute. »Reizender Vergleich, danke!« Ich drehte den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. Er bemühte sich um eine ernste Miene, aber ich sah, dass seine Mundwinkel zuckten. Als er ebenfalls den Kopf drehte, um mich anzusehen, mussten wir beide lachen. Ich lachte so sehr, dass mir der Rücken nur noch mehr wehtat.
Mittendrin brach ich
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