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Der Sommer, der nur uns gehoerte

Titel: Der Sommer, der nur uns gehoerte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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zusammen, man sah sich jeden Tag, bei jeder Mahlzeit. Man konnte sein wahres Wesen nicht vor seinen Freunden verstecken. Man war quasi nackt. Vor allem vor jemandem wie Anika, die so offen und ehrlich und scharfsinnig war und alles sagte, was sie dachte. Ihr entging nichts.
    Â»Wenigstens musst du nie mehr Badeschlappen beim Duschen tragen!«, sagte sie.
    Â»Oder anderer Leute Haare aus dem Abfluss ziehen«, fügte ich hinzu. »Jeremiahs sind zu kurz, die bleiben nicht hängen.«
    Â»Und du musste nie mehr dein Essen verstecken.« Anikas Zimmergenossin Joy klaute ihr ständig die Vorräte, und Anika hatte sich angewöhnt, ihre Müsliriegel zwischen der Unterwäsche zu verstecken.
    Â»Vielleicht doch. Jere ist ganz schön verfressen«, sagte ich und spielte mit meinem Ring.
    Ich blieb noch ein bisschen, half ihr, die restlichen Poster abzunehmen, und sammelte mit einer alten Socke, die ich als Handschuh benutzte, Wollmäuse unter dem Bett ein. Dabei redeten wir über das Praktikum, das Anika im Sommer bei einer Zeitschrift machen würde, und darüber, dass ich sie vielleicht an einem Wochenende in New York besuchen würde.
    Später gingen wir zusammen durch den Flur zu meinem Zimmer. Zum ersten Mal in diesem Jahr war es komplett still – kein Föhngeräusch, keine Flurtelefonate, niemand, der in der Mikrowelle vom Aufenthaltsraum Popcorn machte. Viele von uns waren bereits nach Hause abgereist. Morgen würde auch ich nicht mehr hier sein.
    Das Collegeleben, wie ich es kannte, war für mich vorbei.

16
    Ich hatte gar nicht vorgehabt, mich auf dem College Isabel nennen zu lassen, es ergab sich einfach so. Solange ich lebte, hatten alle mich Belly genannt, ohne dass mich jemand gefragt hätte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich jetzt ein Mitspracherecht, doch das wurde mir erst klar, als wir – Jeremiah, meine Mom, mein Dad und ich – vor der Tür meines Zimmers im Wohnheim standen, am Einzugstag der Freshmen. Dad und Jeremiah schleppten den Fernseher, Mom trug einen Koffer und ich einen Wäschekorb mit meinem Kosmetikzeug und den Bilderrahmen. Dad lief der Schweiß den Rücken herunter, sein braunes Oberhemd hatte schon drei nasse Flecken. Auch Jeremiah schwitzte – den ganzen Morgen über hatte er schon versucht, meinen Dad zu beeindrucken, indem er darauf bestand, die schwersten Sachen zu schleppen. Dad war das gar nicht recht, das spürte ich.
    Â»Mach schon, Belly«, sagte er keuchend.
    Â»Ab jetzt heißt sie Isabel«, bemerkte Mom.
    Ich weiß noch, wie ich den Schlüssel hervorkramte und dabei auf die Tür starrte. Da sah ich es: ISABEL stand da, in aufgeklebten Strasssteinchen. Unsere Namensschilder, das meiner Zimmergenossin und meins, steckten in leeren CD-Hüllen. Meine Mitbewohnerin – Jillian Capel – hatte eine Mariah-Carey-CD, ich eine von Prince.
    Jillian hatte ihre Sachen schon ausgepackt, sie hatte die linke Zimmerhälfte, die näher bei der Tür war. Auf ihrem Bett lag eine Tagesdecke mit einem Paisleymuster in Blau und Rost, anscheinend nagelneu. Ihre Poster hingen auch schon an der Wand – ein Filmplakat mit einer Szene aus Trainspotting und ein Poster einer Band, von der ich noch nie gehört hatte: Running Water.
    Mein Dad setzte sich an den leeren Schreibtisch – meinen Schreibtisch. Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn. Er sah richtig fertig aus. »Ein gutes Zimmer«, sagte er. »Gutes Licht.«
    Jeremiah, der nur herumgestanden hatte, sagte: »Ich geh mal zum Auto und hol die große Kiste.«
    Dad wollte schon aufstehen. »Ich helfe dir«, sagte er.
    Â»Nicht nötig«, antwortete Jeremiah und stürmte zur Tür hinaus.
    Dad sank gleich wieder auf den Stuhl. Er sah erleichtert aus. »Dann mache ich mal ein bisschen Pause«, sagte er.
    Meine Mutter inspizierte schon das Zimmer, öffnete den Kleiderschrank, zog Schubladen auf.
    Ich ließ mich aufs Bett fallen. Hier also würde ich nun fast ein Jahr lang wohnen. Von nebenan schallte Jazz herüber. Weiter hinten im Flur stritt sich ein Mädchen mit seiner Mutter darüber, wo der Wäschekorb hinsollte. Die Aufzugtür schien permanent auf- und zuzugehen, und jedes Mal machte es ding-dong. Es störte mich nicht, ich mochte die Geräusche. Es war tröstlich zu wissen, dass so viele Menschen um mich herum waren.
    Â»Soll ich deine Kleider auspacken?«,

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