Der Sommer, der nur uns gehoerte
sich Jillian auf ihr Bett und fragte mich: »Hast du einen Freund?«
»Ja«, sagte ich und setzte mich auf meine Hände. »Er geht auch hier aufs College.« Ich freute mich darauf, gleich in ein Mädchengespräch einzusteigen, so würden wir uns am schnellsten anfreunden. »Er heiÃt Jeremiah und ist Sophomore.«
Ich sprang auf und holte ein Foto von uns beiden, das ich auf meinen Schreibtisch gestellt hatte. Es war auf meiner Abschlussfeier aufgenommen worden, Jeremiah hatte eine Krawatte um und sah richtig gut aus. Schüchtern hielt ich es ihr hin.
»SüÃ, wirklich«, sagte sie.
»Danke. Und du â hast du einen Freund?«
Sie nickte. »Ja, da, wo ich herkomme.«
»Schön«, sagte ich. Etwas anderes fiel mir nicht ein. »Wie heiÃt er?«
»Simon.«
Als sie nichts weiter über ihn erzählte, fragte ich: »Wie wirst du denn so genannt â Jill? Oder Jilly? Oder immer Jillian?«
»Jillian. Gehst du früh oder spät schlafen?«
»Spät. Und du?«
»Früh«, sagte sie und kaute an der Unterlippe. »Aber uns wird schon was einfallen. Ich stehe auch früh auf. Wie ist das bei dir?«
»Doch, schon, manchmal.« Wenn ich etwas zutiefst hasste, dann das â früh geweckt zu werden.
»Lernst du mit Musik oder ohne?«
»Ohne.«
Jillian sah erleichtert aus. »Ah, gut. Ich hasse jede Art von Lärm, wenn ich lernen will. Dann brauche ich absolute Ruhe.« Dann fügte sie noch hinzu: »Das soll jetzt nicht heiÃen, dass ich hypersensibel bin.«
Ich nickte. Ihre Bilderrahmen standen alle ganz gerade. Als wir ins Zimmer kamen, hatte sie ihre Jeansjacke sofort aufgehängt. Ich hingegen machte zum Beispiel mein Bett nur, wenn ich Besuch bekam. Ich fragte mich, ob ich ihr mit meiner Unordnung auf die Nerven gehen würde. Hoffentlich nicht.
Gerade wollte ihr das sagen, doch da schaltete sie ihren Laptop an. Anscheinend betrachtete sie unseren Versuch einer Annäherung für diesen Abend als beendet. Auf einmal fühlte ich mich wirklich allein â meine Eltern waren nicht mehr da, und Jeremiah war auf dem Weg zu seinem Verbindungshaus. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit mir anfangen sollte. Ausgepackt hatte ich schon, da ich gehofft hatte, Jillian und ich würden zusammen durchs Haus streifen, Leute kennenlernen. Doch sie tippte schon munter drauflos, anscheinend chattete sie mit jemandem. Vermutlich mit ihrem Freund.
Ich nahm mein Handy aus der Handtasche und schrieb Jeremiah eine SMS. Bitte komm zurück.
Er würde kommen, das wusste ich.
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Am folgenden Tag fand unser »Eisbrecherabend« statt. Kira, die Wohnheimbetreuerin, hatte uns gebeten, einen persönlichen Gegenstand mitzubringen, der unserer Meinung nach am meisten über uns aussagte. Ich entschied mich für meine Schwimmbrille. Die anderen Mädchen brachten Stofftiere und gerahmte Fotos, eine holte ihr Modelbuch hervor. Jillian brachte ihren Laptop mit.
Wir saÃen alle im Kreis, mir gegenüber saà Joy. Sie hielt einen Pokal auf dem SchoÃ, den sie bei einer FuÃballmeisterschaft auf Bundesstaatsebene gewonnen hatte, was mich schwer beeindruckte. Ich wollte Joy wirklich gern zur Freundin haben. Der Gedanke steckte mir im Kopf, seit wir uns am Vorabend in den Waschräumen unserer Etage getroffen hatten, beide im Pyjama und mit unseren Kulturbeuteln unterm Arm. Joy war klein und kräftig, hatte einen hellbraunen Bob und helle Augen. Sie schminkte sich nicht und war selbstsicher wie so viele Mädchen, die Wettkampfsportarten betreiben.
»Ich bin Joy«, stellte sie sich vor. »Meine Mannschaft hat die Staatsmeisterschaft gewonnen. Wenn von euch jemand gern FuÃball spielt, sprecht mich an, dann gründen wir hier eine Wohnheimmannschaft.«
Als ich an der Reihe war, sagte ich: »Ich heiÃe Isabel und ich schwimme gerne.« Joy lächelte mir zu.
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Immer hatte ich geglaubt, College, das wäre das GröÃte überhaupt. Freundinnen auf den ersten Blick, ein Ort, an den man einfach gehört. Nie hätte ich gedacht, dass es so mühsam sein würde. Vorgestellt hatte ich mir Partys und gemeinsame Feste mit anderen Wohnheimen und mitternächtliche Ausflüge zum Waffelimbiss. Inzwischen war ich vier ganze Tage im College, und nichts davon hatte ich erlebt. Jillian und ich hatten zusammen in der Mensa gegessen, aber das warâs auch schon. Ansonsten
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