Der Sommer, der nur uns gehoerte
sich nie etwas aus mir gemacht habe. Und als er in derselben Nacht versucht hatte, es zurückzunehmen, da habe ich ihm wahrscheinlich wieder geglaubt. Doch jetzt wusste ich nicht mehr, was ich noch glauben sollte. Ich wusste nur, dass ich ihm nicht mehr vertraute.
Ich wechselte abrupt das Thema. »Willst du eigentlich in Kalifornien bleiben, wenn du deinen Bachelor hast?«
»Kommt ganz drauf an, an welcher Med School ich einen Platz bekomme.«
»Bist du ⦠ich meine, hast du da eine Freundin?«
Ich sah, wie er erschrak. Ich sah, wie er zögerte.
»Nein«, sagte er.
32
Conrad
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Sie hieà Agnes. Viele Leute nannte sie Aggie, aber ich blieb bei Agnes. Sie war in meinem Chemiekurs. Bei jedem anderen Mädchen hätte man diesen Namen unmöglich gefunden. Es war ein Name für alte Damen. Agnes hatte welliges mattblondes Haar, das kinnlang geschnitten war. Manchmal trug sie eine Brille, und ihre Haut war milchig bleich. Als wir einmal zusammen vor dem Labor warteten, bis aufgeschlossen wurde, schlug sie vor, wir könnten doch mal zusammen weggehen. Ich war so überrascht, dass ich Ja sagte.
Von da an sahen wir uns oft. Ich war gern mit ihr zusammen. Sie war gescheit, und ihre Haare dufteten nach Shampoo, und zwar nicht nur, wenn sie gerade geduscht hatte, sondern den ganzen Tag lang. Meist lernten wir zusammen, wenn wir uns trafen. AnschlieÃend gingen wir manchmal Pfannkuchen oder Burger essen, und wenn ihre Mitbewohnerin nicht da war, gingen wir auch schon mal in ihr Zimmer und knutschten. Aber im Grunde kam das nur daher, dass wir beide dasselbe studierten. Nie verbrachte ich die Nacht bei ihr, nie lud ich sie ein, bei mir zu übernachten. Ich unternahm auch nie was mit ihr und ihren Freunden und ging auch nie mit, wenn sie ihre Eltern besuchte, obwohl die nicht weit entfernt wohnten.
Eines Tages saÃen wir in der Bibliothek und lernten. Das Semester war fast vorüber. Inzwischen waren wir zwei, fast drei Monate enger befreundet.
Aus heiterem Himmel fragte sie mich: »Warst du je verliebt?«
Agnes war nicht nur gut in Chemie, sie war auch extrem gut darin, mich zu überrumpeln. Ich sah mich um, ob irgendwer uns hören konnte. »Was ist mit dir?«
»Ich hab zuerst gefragt.«
»Dann also: Ja.«
»Wie oft?«
»Einmal.«
Agnes kaute an ihrem Bleistift und lieà meine Antwort einsickern. »Auf einer Skala von eins bis zehn â wie verliebt warst du da?«
»Das kann man nicht messen«, sagte ich, »entweder man ist verliebt, oder man ist es nicht.«
»Aber wenn du es sagen müsstest.«
Ich fing an, meine Notizen durchzublättern. Ich sah sie nicht an, als ich sagte: »Zehn.«
»Wow. Wie hieà sie?«
»Agnes, jetzt hör auf. Freitag sind unsere Prüfungen.«
Sie machte einen Schmollmund und trat mich unter dem Tisch. »Wenn du es mir nicht sagst, kann ich mich nicht konzentrieren. Tu mir einfach den Gefallen. Bitte!«
Ich stieà einen kleinen Seufzer aus. »Belly. Ich meine, Isabel. Zufrieden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nö. Jetzt sag mir noch, wie ihr euch kennengelernt habt.«
»Agnes âââ«
»Ich schwöre, ich hör auch auf, wenn du noch â¦Â« â ich sah ihr an, wie sie im Kopf zählte â »noch drei Fragen beantwortest. Nur drei, mehr nicht.«
Ich sagte weder Ja noch Nein. Ich sah sie nur erwartungsvoll an.
»Also, wie habt ihr euch kennengelernt?«
»Wir haben uns nie kennengelernt. Wir kannten uns im Grunde schon immer.«
»Wann wusstest du, dass du verliebt warst?«
Auf diese Frage hatte ich keine Antwort. Das war nichts, was von einem Moment auf den anderen passiert war. Es war wie ein langsames Erwachen. Erst schläft man, dann befindet man sich in einer Phase zwischen Träumen und Wachen, und schlieÃlich ist man bei klarem Bewusstsein. Es ist ein langsamer Prozess, aber ist man erst einmal wach, dann ist jede Täuschung ausgeschlossen. Genauso wenig wie darüber, dass es Liebe gewesen war.
Doch das wollte ich Agnes nicht sagen. »Ich weià nicht. Es ist einfach passiert.«
Sie sah mich an, wartete, dass ich weitersprach.
»Du hast noch eine Frage frei«, erinnerte ich sie.
»Bist du in mich verliebt?«
Wie gesagt, dieses Mädchen war extrem gut darin, mich zu überrumpeln. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Denn die ehrliche Antwort war Nein. »Hm
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