Der Sommer der Schmetterlinge
gewesen war, und, wenn er einmal daran zweifelte, mit der Gewissenhaftigkeit eines Handwerkers, mit der ganzen Leidenschaft eines Dichters die entsprechenden Maßnahmen ergriff. Maria Inês wollte nicht antworten, weil sie es selbst nicht wusste. Vielleicht ja, vielleicht war es gut gewesen. Anders, dachte sie. Aber er war schließlich auch ein anderer Mann. Sie sagte nichts, sondern lächelte nur etwas verlegen und gab João Miguel zwei Küsse, einen auf das linke, einen auf das rechte Auge.
Erst ein Jahr später kamen sie wieder als Paar zusammen, weil sein Vater, der den Zusatz vecchio allmählich verdiente, ihn für einen längeren Aufenthalt nach Italien schicken wollte. Zum Postgraduiertenstudium. Der doppelteKuss (linkes Auge, rechtes Auge) enthielt jedoch ein größeres Versprechen, als es den Anschein haben mochte.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, waren sie verlobt. I promessi sposi .
Als Maria Inês schließlich nach Hause kam (es war nicht ihr Zuhause), zeigte die Standuhr zehn Minuten nach neun. Kein einziges Licht brannte. Afonso Olímpio war im Schlafzimmer, wach und betrunken, und hörte ihre Schritte (die seiner größten Feindin) wie eine Drohung durch das Haus hallen.
Jetzt machten ihre Schritte Krach. Absichtlich. Es gab keine Zypressenzapfen mehr aufzusammeln.
Am nächsten Morgen packte Maria Inês ihre Sachen für die Abfahrt – noch bevor sie ins Bad ging, um sich zu waschen. Ihre Reisetasche über der Schulter, betrat sie das Esszimmer, aber Afonso Olímpio war nicht da.
Während sie Brot und heiße Milch brachte, erklärte Narcisa: Dein Vater hat mich gebeten, dir zu sagen, dass er zeitig fortmusste. Er wollte nach den Kühen sehen.
Maria Inês nahm ein Brötchen und erinnerte sich daran, dass sie zu einer Zeit, als die gute Laune noch alltäglicher und einfacher gewesen war, die Minutenbrötchen oft scherzhaft Minibrötchen genannt hatte. In aller Deutlichkeit merkte sie, dass sie allein war. Selten war sie in diesem Haus allein gewesen. Jetzt hätte sie gern João Miguel dagehabt, hätte gern geredet oder schweigend der Biene zugeschaut, die durchs Fenster hereingekommen war und in der Luft einen langsamen Tanz über dem Tischaufführte. Hätte gern gemeinsam dem Benteveo und der Rotbauchdrossel gelauscht, die mit ihrem eigenen Leben beschäftigt waren und nicht das Mindeste von dem Drama wussten, das hier stattfand. Aber João Miguel war am Abend zuvor abgereist. Am Steuer seines Autos, die schwer erkennbare nächtliche Fernstraße vor Augen und die Hände vom Geruch seiner Cousine zweiten Grades umschwirrt wie von einem zahmen Vögelchen. Zehn Minuten hatte er an der Parada Predileta gehalten, um einen starken Kaffee zu trinken. Vorsichtshalber. Er war nicht müde und war es auch nicht, als er morgens um halb zwei in Rio de Janeiro ankam.
Nachdem die Biene den Tisch genauestens untersucht hatte, fand sie endlich ihren Weg aus dem Zimmer. Trotz der Wolken vom Vorabend schien im Garten die Sonne, und die Dinge dort draußen kamen ihr einladender vor. Der violette Ipê sprenkelte den Boden mit unregelmäßigen Schattenflecken. Insekten durchschnitten schnell die Luft und ließen ihr bassbaritonartiges Summen ertönen. Es gab violette und weiße Blüten am Macanábaum und andere von leuchtendem Rosa an der Elf-Uhr-Portulak-Rose, die von allein gekeimt und gewachsen war und sich ausgebreitet hatte – zarte Blüten, die am Vormittag aufblühten und mit dem Nachmittag starben. Kurzlebige Blüten brachte auch der Hibiskus hervor, allerdings waren sie groß und orangefarben, mit dunklem Kelch. Ihre dicken Haare mit einem lila Tuch zum Pferdeschwanz gebunden, trat Maria Inês mit ihrer Reisetasche aus dem Haus. Unter dem Verandadach bauten Wespen sorgfältigan einem neuen Nest. Früher oder später würde Narcisa ihre Arbeit mit einer Fackel zerstören und ihre Eier und Larven verbrennen.
Maria Inês setzte sich auf den Verandaboden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Aus der Reisetasche holte sie einen Notizblock und einen Bleistift, um ihre Nachricht zu schreiben. Vater, ich fahre . Gern hätte sie Dinge hinzugefügt wie Wenn du etwas brauchst, ruf mich an oder schreib mir, ich komme bald wieder, pass auf dich auf, Grüße deiner dich herzlich liebenden Tochter. Die Nachricht einer Tochter an ihren Vater.
Doch sie fügte nichts hinzu, unterschrieb den Zettel nicht und ließ ihn auf dem Tisch in der Mitte des Wohnzimmers unter einem Briefbeschwerer liegen. Dann sah sie das
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