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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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die Köchin Jorgina, als sie zur Arbeit kommt, hört die Perlhühner gackern und beobachtet, wie der Hund sich mit der Hinterpfote kratzt.
    Dann geht er in aller Ruhe los, um Eduarda, seine Tochter, kennenzulernen.
    Ich wette, wir haben schon massenweise Guavenmaden verschluckt, sagte Maria Inês und sah ihre Schwester provozierend an. Hast du dir das mal vorgestellt, Clarice? EinStück von einer Made, einen Kopf, einen Schwanz, so was Weiches und Weißes. Einen Wurm!
    Hör auf, Maria Inês! Das ist eklig.
    Maria Inês sagte nichts mehr, biss ein neues Stück von ihrer Guave ab und blickte in die Ferne. Auf einen Reiter, der mit seinem Stohhut die Straße entlangkam. Ihre Mutter war im Haus und nähte. Ihr Vater war in die Stadt gefahren, um Medikamente zu kaufen. Zu jener Zeit waren sie einfach nur das: Mutter und Vater. Mögliche Freunde.
    Was ist mit deinem Bein passiert?, fragte Clarice und zeigte auf eine Schramme auf Maria Inês’ dünnem Oberschenkel.
    Ich habe mich gestern gestoßen. Als ich von der Schaukel gefallen bin.
    Du schaukelst ziemlich hoch.
    Es macht mir Spaß.
    Aber du kannst runterfallen und dir weh tun.
    Na und. Das ist mir egal.
    Dann schwiegen die beiden Mädchen und betrachteten die Welt von oben aus dem Guavenbaum. Ohne Eile, ohne Angst. Es gab noch keine Angst, es gab noch keine Monster, die in den verborgenen Winkeln des Hauses schnauften. Nur die Zukunft – die vor Aussichten leuchtete, so wie ihre Augen leuchteten. Clarice dachte darüber nach, dass sie eine Skulptur formen wollte, um sie Maria Inês zu Weihnachten zu schenken. Und Maria Inês fragte sich, ob ein paar Zypressenzapfen ein gutes Geschenk für ihre Schwester wären oder ob sie dafür bereits ein bisschenzu groß sei – schließlich war Clarice schon elf Jahre alt. Danach verdunkelte etwas ihr Herz, sie rückte leise an ihre Schwester heran und legte den Arm um sie. Als der Schatten verschwunden war, lächelte Maria Inês wieder und sagte unvermittelt: Ich mag dich.
    Sie blickten in Richtung Berge und versuchten zu erraten, was dahinter sein mochte. Sie blickten in Richtung Zukunft und versuchten zu erraten, welche Dinge dort auf sie warten mochten. Opernkarten und Liebesbriefe? Absatzschuhe und Lippenstift, lackierte Fingernägel? Clarice nahm die Hand ihrer kleinen Schwester und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie sich als erwachsene Frauen trafen. In Rio de Janeiro. Oder in Paris. Eine berühmte Tänzerin und eine berühmte Bildhauerin. Mit Fotos ihrer Kinder in der Tasche, gutgekleidet und nach Parfüm duftend. Gerührt stellte sie sich vor, dass sie sich an den Tag erinnern würden, an dem sie Guaven gegessen hatten und Maria Inês gesagt hatte: Ich wette, wir haben schon massenweise Maden verschluckt.
    Clarice war glücklich. Es war eine strahlende Zukunft, die sie vor sich sah. Sie wusste, dass sie recht behalten würde. Sie lächelte Maria Inês an und sagte: Komm, gehen wir. Lina hat versprochen, dass sie nach dem Mittagessen mit uns spielt. Komm.
    Mit einem Satz sprangen sie vom Baum und rannten zum Haus.

QUELLENNACHWEIS
    Das diesem Roman vorangestellte Zitat von Marguerite Duras ist mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags folgender Ausgabe entnommen: Marguerite Duras, Schreiben. Aus dem Französischen von Andrea Spingler © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1994.

Informationen zum Buch
    Die Unmöglichkeit des Vergessens
    Ein fesselnder, poetischer Roman über große Gefühle und dunkle Leidenschaften: Nach Jahren treffen sich die beiden ungleichen Schwestern Maria Inês und Clarice wieder, um das Unerklärliche zu klären, das ihr Leben geprägt hat.
    Die beiden Mädchen wachsen in einem wohlhabenden Elternhaus auf einer Fazenda im Landesinnern des Bundesstaates Rio de Janeiro auf. Ihre Kindheit verläuft scheinbar harmonisch und behütet, tatsächlich aber ist ihre Welt bestimmt von den „verbotenen Dingen“, die man nicht aussprechen darf. Und so teilen Clarice und Maria Inês dunkle Geheimnisse, die jeden ihrer Schritte begleiten.
    Mit den Jahren verlieren sie sich aus den Augen, die eine lebt als Ärztin in Rio, die andere auf der heimatlichen Fazenda. Erst nach dem Tod der Eltern treffen die Schwestern in einer schicksalhaften Nacht wieder aufeinander und bringen all die unausgesprochenen Wahrheiten endlich ans Licht.
    „Der Sommer der Schmetterlinge“ erzählt in starken Bildern und mit viel Atmosphäre von Abhängigkeiten und Abgründen in Zeiten der Diktatur und

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