Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Ahnung.
Doch ich zeigte diese Schwächen, weil ich, ebenso wie Simon, eine Außenseiterin war. Die Uncoole. Wenn man dagegen beliebt war, eine Bienenkönigin wie Corinne, musste man sich doch gar nicht so sehr verrenken, um dazuzugehören.
Ich konnte mich aber auch irren.
»Mittlerweile bin ich nicht mehr so verblendet«, behauptete Simon und knöpfte sein Hemd zu. »Ich weiß inzwischen, was ich nicht will, und das ist schon die halbe Miete.« Er lächelte zuversichtlich. Doch sein Gesicht wirkte angespannt. War er immer noch verletzt?
»Aber warum bist du dann zur Party gekommen?«
Er runzelte die Stirn. Offensichtlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn ich das Thema nicht angeschnitten hätte. »Ich habe mir eingebildet, Stacy unbedingt sehen zu müssen. Nachdem ein ganzes Jahr vergangen war. Um ihr zu zeigen, dass ich über sie hinweggekommen bin. Ziemlich armselig, oder? Aber ich glaubte, irgendwie wünscht sich doch jeder so einen Schlussstrich.«
Ich versuchte mir auszumalen, wie Simon Liebeskummer wegen Stacy hatte. Er war so leidenschaftlich, dass ich ihn mir problemlos sehr verliebt vorstellen konnte, obwohl es mich wunderte, dass er sich ausgerechnet die arrogante Stacy ausgesucht hatte. Doch offenbar hatte sich Simon seit dem letzten Jahr verändert. Damals hatte er andere Ziele gehabt und versucht, andere zu beeindrucken, indem er sich als jemand ausgegeben hatte, der er nicht war. Heute erschien mir das ganz untypisch für ihn.
»Ich hatte mich regelrecht hineingesteigert, aber als ich schließlich auf der Party angekommen war, hatte ich doch keine Lust mehr, sie zu sehen. Es war nicht mehr nötig.« Simon schnippte sein Feuerzeug an, schirmte die Flamme mit der Hand ab und zündete sich eine Zigarette an. »Sie war es nicht wert.« Er atmete mit einem langen, zufriedenen Seufzer aus. »Und dann sind wir zwei uns begegnet.«
»Bei unserem ersten Treffen«, begann ich langsam, »hast du gesagt, du wärst uneingeladen auf der Party erschienen, weil du mich gesehen hättest und mich kennenlernen wolltest. Du hast mich also angelogen.« Meine Stimme klang schneidender als beabsichtigt. Doch ich erinnerte mich daran, wie Simon mit mir geflirtet hatte. Ich hatte ihn bei einer Unehrlichkeit ertappt und wollte ihm klarmachen, dass ich nicht mit mir spielen ließ.
Simon verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte hinauf in den Himmel. »Es stimmt aber. Ich hatte dich gesehen und war neugierig auf dich. Und ich habe versucht, dich durch Schmeicheleien für mich einzunehmen. So reagiere ich, wenn ich verunsichert bin.«
»Verunsichert?« Ich schnaubte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich irgendein Junge durch mich verunsichern ließe.
»Ja. Du hast so hübsch ausgesehen in deinem weißen Kleid. Unberührbar. Und du warst so reserviert. Weißt du, Mia, ein Junge zu sein kann ganz schön stressen.«
Ich zog mein Sweatshirt über. Ich war trocken genug, um mich anzuziehen, und die warme, weiche Baumwolle auf meiner Haut fühlte sich angenehm an. In Gedanken wog ich die verschiedenen Möglichkeiten ab. Simon war mir gegenüber offen gewesen. Wie offen sollte ich ihm gegenüber sein?
Ich legte mich wieder auf mein Handtuch und drehte mich zu ihm um. »Ich war noch nie verliebt«, gestand ich mit leiser Stimme. Das hatte ich eigentlich gar nicht sagen wollen, die Worte kamen wie von selbst. Ich hatte vorgehabt, Simon von Jake zu erzählen und wie sehr er mir weh getan hatte. Doch irgendwie schien die Sache mit Jake plötzlich keine Rolle mehr zu spielen, sondern nur noch das, was ich dadurch gelernt hatte. »Einmal habe ich geglaubt, ich wäre es, aber ich habe mich geirrt«, fügte ich hinzu.
»Geht mir genauso.« Simon sah mich sehr ernst an. »Ich war in das Verliebtsein verliebt, aber das ist nicht dasselbe. Als ich Stacy zum ersten Mal gesehen habe, lief auf einmal alles wie in Zeitlupe ab. Es war, als hätte die Erde aufgehört, sich zu drehen. Weißt du, was ich meine?«
»Ja.«
»Man kann sich alles Mögliche einreden, mit dieser Liebe-auf-den-ersten-Blick-Epiphanie.«
»Epiphanie«, wiederholte ich. »Ich weiß, dass du auf eine Privatschule gehst, aber du musst es mir nicht unter die Nase reiben.«
»Ach, du weißt schon, der sprichwörtliche Chor der Engelsstimmen.« Simon lachte leise. »Wie ein inneres Orchester. Als ergäbe für einen Moment alles auf der Welt einen perfekten Sinn. Aber Liebe auf den ersten Blick … ist nur eine Illusion.« Simon seufzte. »Nachdem ich
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