Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
ins Gesicht. Ich bin total ausgeflippt. Habe auf meinen Bruder eingeschlagen. Stacy angeschrien. Eine richtige Szene gemacht. Denn ich wusste, was sie tat. Sie wollte mir eine Botschaft übermitteln …« Simon hielt inne, zog an seiner Zigarette, atmete aus und blies einen perfekten Rauchkringel, der nach oben schwebte und dann zerriss, bis er sich in Nichts auflöste. »Danach hat sie mich total fertiggemacht. Sie hat ihren Freunden erzählt, ich sei ein Idiot, ein Blödmann, ein Depp, der sich etwas mit ihr eingebildet hätte, was es gar nicht gegeben hätte. Und vielleicht hatte sie recht.«
Er schwieg eine Weile. Dann schüttelte er den Kopf und stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich dachte, das wäre das Ende der Welt. Ich hatte mir wirklich eingebildet, sie zu lieben. Den Rest der Ferien verbrachte ich damit, als leidender Held meiner persönlichen griechischen Tragödie Trübsal zu blasen. Ziemlich dämlich, was?«
»Ich weiß nicht.« Das stimmte. Die Liebe war ein Geheimnis für mich. Ich hatte geglaubt, sie entschlüsselt zu haben, aber am Ende wusste ich nur, was sie nicht war.
»Ist mir recht geschehen«, sagte Simon mit einem verbitterten Lachen. »So viele Tage habe ich damit verbracht, hinüber zu diesen Mädchen und ihren Freunden zu starren, sie mit ihrer Clique abhängen zu sehen und mich danach zu sehnen, dazuzugehören, so dass Stacy mit mir gehen würde.«
Er schüttelte den Kopf. Ich wartete darauf, dass er weitersprach.
»Ich habe dieses ganze Theater veranstaltet, nur um mich in ihre Umlaufbahn zu katapultieren, und als es so weit war, hatte ich das Gefühl, ich sei angekommen. Aber sie war den Preis nicht wert, so viel ist sicher … Trotzdem habe ich Monate gebraucht, um darüber hinwegzukommen und alles so zu sehen, wie es wirklich war.«
»Deswegen gehst du nicht gern an den Strand«, sagte ich und sprach damit meine Gedanken laut aus. »Weil du sie nicht sehen willst. Besonders Stacy nicht.«
»Die Nacht gehört mir.« Ich hörte an seiner Stimme, dass Simon lächelte. »Keine Leute. Keine Helligkeit, die einen blendet und verbrennt.«
Ich dachte daran, wie ich mich tagsüber am Strand fühlte. »Ich weiß, was du meinst.«
»Deine Cousine Corinne ist in Ordnung«, fuhr Simon fort. »Zwar hat sie mich dieses Jahr nicht mehr zu ihren Partys eingeladen und so weiter. Sie steht loyal zu ihrer Freundin, und Stacy hat es so dargestellt, als hätte ich sie vor versammelter Mannschaft gedemütigt und nicht anders herum.«
Ich dachte an die fiese Art, in der Corinne Simon beschrieben hatte. Lower Class . »Aber warum findest du Corinne in Ordnung, wenn sie dich schneidet?«
»Ich habe damit nicht gesagt, dass sie nicht der Obersnob der Snob-Elite ist«, erwiderte Simon. »Aber im Inneren ist sie nicht so schlimm wie der Rest. Nicht so schlimm wie ihre Schwester. Beth sagt zwar nicht viel und hat das süßestes Lächeln der Welt, wenn sie es mal anknipst, aber sie ist hart wie Stahl. Das weiß ich einfach. Entschuldige, wenn ich das so sage.«
Ich dachte an Beths ewig waidwundes Lächeln und ihre sanfte Stimme. Dabei war sie alles andere als sensibel. Beth betrachtete die ganze Welt von oben herab. Das machte sie unverwundbar. Vielleicht sogar hart.
»Aber Corinne findest du in Ordnung?« Ich war immer noch irritiert.
Simon zuckte mit den Schultern und warf mir im schwachen Licht ein mitleidiges Lächeln zu.
»Sie ist so nett, wie es eben geht. Die haben alle einen ziemlich schwachen Charakter. So wie ich auch früher. Versuchen verzweifelt, dazuzugehören. Halten sich an die Regeln ihres eigenen Spiels. Auch deine Cousine hält sich an ihr Drehbuch und ignoriert mich, wenn andere dabei sind. Aber wenn sie allein ist und wir uns am Strand treffen, unterhalten wir uns. Manchmal gehen wir sogar ein Stück spazieren.«
Ich nahm an, dass sich Corinne ihm von ihrer weichen Seite gezeigt hatte. Auch ich hatte sie schon ansatzweise zu sehen bekommen. Aber sie als schwach zu bezeichnen ging mir zu weit. Sie war eine geborene Anführerin.
Konnte man Anführerin und Mitläuferin zugleich sein? Verhielt sich Corinne im Beisein ihrer Freunde so, wie es von ihr erwartet wurde, und war nur sie selbst, wenn sie allein war?
»Wir haben wohl alle unsere schwachen Momente«, sagte ich und dachte daran, wie ich um ein Haar mit meinen Cousinen und ihren Freunden gekifft hätte. Und mich durchfuhr ein Stich der Reue, als ich daran dachte, wie feige ich Simon aus Gens Auto zugewinkt hatte. Keine
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