Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
dass Corinne und Gen spätabends die Bar plünderten. Ich wusste es nicht.
Ich hätte gerne gelauscht, befürchtete aber, wieder ertappt zu werden. Deswegen bekam ich nur mit, was ich im Vorübergehen aufschnappte: Kathleen sagte etwas, woraufhin Corinne ihre Mutter eine Heuchlerin schimpfte.
Wieder fragte ich mich, was zwischen den beiden vorging, und dachte an das, was ich bei ihrem letzten Streit gehört hatte. Du bist nicht gerade Mutter Teresa, und wir beide wissen, was ich meine. Hatte Corinne darauf angespielt, dass Tante Kathleen in letzter Zeit mehr trank als gewöhnlich?
Na und? Warum war Corinne so gemein zu ihrer Mutter? Schließlich war Tante Kathleen erwachsen und außerdem die netteste Mutter, die man sich nur wünschen konnte. Sie lobte ihre Töchter unaufhörlich und erzählte allen, wie stolz sie auf sie sei. Meine Mutter sagte so etwas nie, jedenfalls nicht über mich.
Corinne erkannte einfach nicht, was für ein Glück sie hatte, deswegen wusste sie es nicht zu schätzen. Was anscheinend für viele Dinge in ihrem Leben galt. Ihr Lieblingswort, wenn sie schlechte Laune hatte, war »öde«, wie ich in letzter Zeit festgestellt hatte. Alles war total öde. Vielleicht war sie so verwöhnt, dass sie kein anderes Wort für ihren Überdruss fand. Mir hing es jedenfalls zum Hals raus. War es wirklich so ›stinklangweilig‹, auf der obersten Sprosse der gesellschaftlichen Leiter zu stehen? Was, bitte, war daran so schlimm?
»… Mom, du bist hier die Schauspielerin, nicht ich!«, hörte ich Corinne ihre Mutter anschnauzen, als ich aus dem Bad kam und den Flur entlang zu meinem Zimmer ging. Was sollte das nun wieder heißen? Wie auch immer. Wenn Corinne eklig zu ihrer Mutter sein wollte, war das Tante Kathleens Problem und hatte nichts mit mir zu tun. Trotzdem war ich froh, das Haus zu verlassen. Nie hätte ich gedacht, dass Wind Song einmal der letzte Ort sein könnte, an dem ich sein wollte, aber plötzlich konnte ich es gar nicht erwarten, so weit wie möglich davon wegzukommen.
»William! Darf ich dir meinen Schwager und meine Nichte Mia vorstellen? Die Familie von Maxine.«
Mein Onkel hatte seine Yacht in dem Hafen liegen, der zum Shinnecock Club in der Southampton Bay gehörte. Das Clubhaus war ein beeindruckendes Steingebäude, und dahinter erstreckte sich einer der exklusivsten Golfplätze der Welt. Als wir über grüne, manikürte Rasenflächen schritten und die blitzsauberen Holzstege am Ufer betraten, passierten wir noch andere Leute wie diesen William, die alle gleichermaßen privilegiert und gepflegt wirkten. Sie glichen sich erstaunlich: gebräunt, dezent wettergegerbt und in unauffälliger Freizeitkleidung, die dennoch ein Vermögen gekostet hatte.
Als mich mein Onkel seinem schrecklich vornehmen Freund vorstellte, erinnerte ich mich daran, wie mir Simon lachend von den Versuchen seines Vaters erzählt hatte, sich letzten Sommer den Zutritt zu diesem Club-Golfplatz zu erkaufen. »Als ob die ihn je akzeptieren würden!«, hatte Simon gesagt und sich über die Aufstiegsversuche seines Vaters in die High Society lustig gemacht und mir erzählt, wie er »konservative Klamotten, wie englische Landadelige« getragen habe, weil er glaubte, das sei das korrekte Outfit für die Hamptons. »Aber er hat es nie richtig hinbekommen … Er stach immer noch heraus wie ein bunter Hund.«
Einen Moment lang tat mir Simons Vater leid. Er schien zwar nicht gerade ein Charmebolzen zu sein, aber sein Bestreben, dazuzugehören, konnte ich gut verstehen. Und obwohl Simon bei jeder Gelegenheit über seinen Vater herzog, wusste ich, dass er tief im Inneren auch Mitleid mit ihm empfand, weil er die Wahrheit am eigenen Leib erfahren hatte: Letztendlich spielte es keine Rolle, ob man einen guten oder gar keinen Geschmack hatte, denn in manche Clubs wurde man nur aufgenommen, indem man hineingeboren wurde.
Vielleicht war dieser William deshalb so seltsam unfreundlich zu uns. Er murmelte nur einen knappen Gruß und verhielt sich sogar Onkel Rufus gegenüber frostig. Weil mein Onkel seine armen Verwandten mit in den Club gebracht hatte? Bildete ich mir das nur ein, oder starrten manche Leute meinen Vater und mich an? Hatten wir irgendetwas Abstoßendes an uns?
Vielleicht Segelschuhe der falschen Marke?
Doch als die Yacht aus dem Hafen glitt, rückte alles in weite Ferne und wurde immer kleiner, genau wie das Clubhaus. Dazugehören oder Außenseiter sein, das alles spielte draußen auf dem Wasser keine
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