Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Simon.
Ich seufzte. »Nein, ich freue mich nicht.« Ich konnte nicht lügen. Nicht, wenn er mich so aus der Nähe beobachtete.
»Ich mich auch nicht.«
»Du machst dir Sorgen, weil du womöglich Stacy wiedersiehst.«
»Nein, daran liegt es nicht.«
»Du denkst immer noch oft an sie.« Ich klang ziemlich hart. Ich fand, Stacy habe es nicht verdient, dass man an sie dachte. Besonders nicht, was Simon betraf. Aber ich wusste, was es hieß, gegen den eigenen Willen zu lieben.
»Stacy ist mir inzwischen egal«, erwiderte Simon leise. Er seufzte und rollte sich auf den Ellbogen. »Es geht mir nur auf den Keks, so tun zu müssen, als würde ich die anderen mögen, weißt du? Als sei alles total cool.«
Ich wartete auf eine nähere Erklärung. Er hatte auf jeden Fall so getan, als gefiele es ihm, mit den anderen am Strand zu reden. Doch wenn er Heuchelei hasste, warum war er dann so gut darin?
»Ich glaube, ich bin von Natur aus ein guter Schauspieler«, gab Simon zu, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Es ist mir schon immer leichtgefallen, die Leute zum Lachen zu bringen und so zu tun, als fühle ich mich wohl in meiner Haut, obwohl es gar nicht stimmte.«
»Da hast du Glück«, antwortete ich mürrisch. »Diese Fähigkeit fehlt mir völlig.« Meine Mutter ließ nicht nach, mich daran zu erinnern. Gesellschaftliche Umgangsformen sollte ich üben. Die Kunst, seine Gefühle nicht offen zur Schau zu stellen. Offenbar hatte ich noch nie ein besonderes Talent dafür besessen, obwohl ich mich in letzter Zeit ganz besonders anstrengte.
Simon lachte. »Glück? Nein, es geht hier nicht um Glück, Mia, sondern um das, was wirklich wichtig ist. Du bist nicht wie wir anderen. Wir ziehen alle eine Mordsshow ab, sogar deine Cousine Corinne. Wir tun so, als amüsierten wir uns, auch wenn es gar nicht stimmt. Wir tun so, als freuten wir uns über Gesellschaft, wenn wir lieber allein wären. Du bist anders. Du weißt, wer du bist.«
»Ich weiß, wer ich bin?« Ich lachte und schüttelte den Kopf, erstaunt, dass Simon mich so sah. »Ich weiß nicht mehr über mich als irgendein anderer. Und ich heuchle auch, genau wie alle anderen.«
»Aber du bist nicht besonders gut darin, wie du selbst eben betont hast.« Simon fasste mich am Handgelenk und zwang mich, mich umzudrehen und ihn anzusehen. »Du hast heute Abend zweimal geblinkt und bist an mir vorbei in die Nacht hineinmarschiert. Das kannst du ja wohl nicht Heuchelei nennen.«
»Stimmt«, sagte ich lächelnd. »Könnten wir vielleicht über etwas anderes reden? Ich bekomme allmählich Kopfschmerzen.«
»Wie wäre es, wenn wir einfach gar nicht reden? Und stattdessen schwimmen gehen?«
Ich blickte hinaus auf den Ozean. Es war eine wunderschöne Nacht. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem dunklen Wasser wider wie Glitter auf einem dunklen Samttuch.
Unwiderstehlich.
Im Wasser entspannte ich mich besser, als ich es den ganzen Tag über gekonnt hatte. Das Meer war ungewöhnlich warm. Es war der Zeitpunkt zwischen Ebbe und Flut, die Strömung war gering, und ich musste mich beherrschen, im Flachen zu bleiben. Ich versuchte, Simon daran zu hindern, hinaus ins Tiefe zu schwimmen, aber erfolglos. Immer, wenn wir schwimmen gegangen waren, bisher dreimal, war er weiter hinausgeschwommen, als ratsam gewesen wäre.
Ich lächelte, als Simon durch eine Welle hindurchtauchte und voller Eifer hinaus ins Schwarze schwamm. Ich trieb im flachen Wasser, ließ nassen Sand durch die Finger rinnen und betrachtete die schimmernde Spur, die der verschwommene Mond vom Horizont bis zum Strand hinterließ.
Minutenlang herrschte Stille. Allmählich machte ich mir Sorgen. »Simon!«, rief ich. »Komm zurück!«
Nichts.
Dann packten mich zwei starke Hände an den Knöcheln und zogen mich unter Wasser.
Als ich wieder an die Oberfläche kam, zeigte ich ihm den Mittelfinger. Ich hatte Salzwasser geschluckt, hustete, prustete und lachte. Simon schwamm hinter mich, fasste mich an den Schultern und zog mich an sich.
»Wir sind doch Freunde, oder?«, sagte er mir ins Ohr, einen Arm fest um meine Taille gelegt. »Warum gehen wir nicht mal nackt baden?«
Ich wand mich los, drehte mich um, sah, wie mich Simon im hellen Mondlicht angrinste, und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Warum nicht? Es ist dunkel. Man kann gar nichts erkennen.«
»Es ist Vollmond, Simon.«
»Hast du es überhaupt schon mal ausprobiert?«
»Nein, das ist nichts für mich«, erwiderte ich lahm. »Du kennst mich doch
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