Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
Antwort. Simon war vermutlich überrascht. Aber ich musste erst meine Gedanken ordnen. War es möglich, dass Simon nur behauptete, Angeberei und Cliquen zu hassen, in Wirklichkeit aber gerne dazugehören wollte?
Und wenn das so war, sollte ich es ihm übelnehmen? Konnte ich nicht seine Freundin bleiben und ihm den Versuch gönnen, sich den Leuten anzuschließen, die ich selbst unwillkürlich beneidete, obwohl ich sie aus denselben Gründen verabscheute, aus denen ich sie bewunderte?
Ich war vollkommen verunsichert. Ich wusste nur, dass ich in diesem Zustand keine Gesellschaft gebrauchen konnte. Deswegen ging ich weiter, an Simons Haus und an Indigo Beach vorbei. Ich spazierte weit an der Küste hinauf, viel weiter als sonst, vorbei an den dunklen Silhouetten der Häuser, während die See zu meiner Rechten wogte und im Takt mit meinen wirren, ruhelosen Gedanken zischte und rauschte.
Obwohl ich mich so sehr danach gesehnt hatte, von zu Hause und der Erinnerung an Jake wegzukommen, wollte ich jetzt nichts lieber, als zurück in Georgia zu sein, wo ich nicht die ganze Zeit so angestrengt darüber nachdenken musste, wie ich mich anpassen und dazugehören konnte. Dort hatte ich Freunde, mit denen ich aufgewachsen war und vor denen ich mich nicht andauernd beweisen musste. Doch hier draußen hatte ich das Gefühl, mit den Gezeiten zu strömen, unfähig, meine eigene Richtung zu finden, und selbst wenn ich Widerstand leistete, wurde ich früher oder später von stärkeren Kräften mitgerissen.
Ich war mir selbst genauso ein Rätsel geworden, wie es meine Mitmenschen für mich waren. Ein schwarzes Loch in einer Galaxie heller Sterne.
Schließlich drehte ich um und kehrte zu Wind Song zurück. Auf halbem Weg setzte ich mich in den Sand und dachte an die vielen Ferien zurück, die ich als Kind hier verbracht hatte. Corinne und ich waren immer zusammen gewesen, wir beide, unzertrennlich. Schon damals war sie etwas ganz Besonderes gewesen, aber ich hatte nie das Gefühl, dadurch selbst etwas zu vermissen oder ihr nacheifern zu müssen … Ich brauchte nur ich selbst zu sein, die stille Beobachterin, zufrieden, im Schatten zu stehen, wenn ich nur in der Nähe des Lichts sein konnte.
Aber das war vorbei.
Als ich Indigo Beach verließ, sah ich Simons Feuerzeug flackern. Dreimal. Eine Frage. Er war immer noch draußen und wollte mit mir reden. Ich blinkte zurück. Dreimal. Das Schweigen hatte nicht geholfen.
Simon trat in den Strahl meiner Lampe und sagte: »Ich habe etwas für dich gefunden. Schätze.« Er wusste, dass ich gern nach allem suchte, was das Meer von selbst hergab, aber ich zuckte nur die Achseln. Im Moment konnte ich mich nicht über Treibgut oder eine Muschel freuen. »Guck mal.« Simon hielt zwei Gegenstände hoch. »Ein Asthmaspray. Und das hier sieht aus wie eine alte Thunfischdose.«
»Volltreffer.« Ich lächelte ansatzweise, und dann schwiegen wir für einen Moment.
»Was ist los?«
Wieder zuckte ich mit den Schultern, und wir setzten uns in den Sand. Selbst wenn ich Simon alle meine schwarzen Gedanken mitgeteilt hätte, war ich nicht sicher, ob er dafür empfänglich gewesen wäre. Dass ich meine Zweifel über die Gründe hegte, warum er mit mir befreundet sein wollte, mochte ich ihm nicht erzählen. Und auch nichts über meine Zweifel, wer ich selbst eigentlich war.
»Schau mal. Sind die nicht romantisch?«, sagte Simon und zeigte auf zwei Glühwürmchen, die sich umtanzten. Ihre glühenden Lichter zogen Spiralen in der Dunkelheit.
»Nicht unbedingt«, entgegnete ich. »Bei manchen Glühwürmchenarten täuschen die Weibchen den Männchen vor, dass sie sich paaren wollen und fressen sie stattdessen.«
»Oh, ich glaube, ich kenne ein paar von denen.« Simon lachte, aber ich lachte nicht mit. Mein Herz war zu schwer, als dass ich auch nur in der Dunkelheit hätte lächeln mögen.
»Du weißt sehr viel, Daisy«, bemerkte Simon.
»Tja, kann sein. Aber je mehr man weiß, desto weniger versteht man manchmal …« Ich sprach nicht weiter. Wir beobachteten die Glühwürmchen, bis sie in der Nacht verschwanden.
Ich rechnete immer noch damit, dass Simon aufgeben und gehen würde, aber er ließ sich von meiner schlechten Laune nicht aus der Fassung bringen. Ich spürte, wie er mich ansah.
»Worüber denkst du nach?«, fragte er nach einer langen Stille.
»Ich dachte gerade, wie sehr ich es hasse, wenn man mich fragt, woran ich denke«, antwortete ich trocken.
»Freust du dich auf die Party?«, fragte
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