Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
einzigen Weg, auf dem sie mich nicht bemerken würden: Ich stieß mein Zimmerfenster auf.
Während ich mich von Wind Song entfernte, versuchte ich, den Kopf frei zu bekommen, indem ich mich auf das konzentrierte, was vor mir lag: Es war ein strahlender, sengend heißer Tag, an dem es am Strand nicht angenehm war, es sei denn, man wollte aussehen wie ein gegrillter Hummer. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und marschierte weiter.
Simons Mom lag draußen am Pool, als ich ankam. Auch sie sah müde aus und lächelte mich hinter ihrer dunklen Sonnenbrille matt an. »Geh einfach rauf, Mia, er ist oben in seinem Zimmer«, sagte sie, und als ich die Terrasse überquerte, fügte sie hinzu: »Wir sehen uns ja heute Abend.«
»Ich freue mich schon«, antwortete ich.
Mrs Ross reagierte mit ihrem typischen leisen Lächeln, irgendwie tapfer und schüchtern zugleich. Ich hatte den Eindruck, sie wäre lieber früh zu Bett gegangen, als mit uns zusammen zu grillen. Und vielleicht hat sie gar nicht so unrecht, dachte ich, als ich die Metallwendeltreppe ins obere Stockwerk des Hauses hinaufstieg. So gereizt, wie meine Verwandten augenblicklich waren, erschien der gemeinsame Grillabend immer weniger verlockend, je näher er rückte.
Simon ließ mich warten, bis er sein Gemälde umgedreht hatte. Er bestand darauf, es mir erst zu zeigen, wenn er damit fertig war, und stellte mir dann eine Privatvernissage seiner Southampton-Serie in Aussicht.
»Kann ich nicht wenigstens mal einen kurzen Blick darauf werfen?«, drängelte ich und betrachtete die Reihen der Leinwände, die alle mit der bemalten Seite zur Wand gedreht waren. Das Werk, auf das ich am neugierigsten war, stand auf einer umgedrehten Staffelei dicht vor dem Einbauschrank.
»Erst, wenn ich fertig bin. Dieses ist etwas Besonderes«, fügte er hinzu, als ich die Rückseite der Staffelei anstarrte. »Damit habe ich schon angefangen, bevor wir uns kennengelernt haben.«
Langsam wanderte ich in Simons Zimmer umher und atmete tief den Geruch nach Ölfarben und Terpentin ein. Tuben mit blauer Farbe liefen in der Hitze aus. Jazzmusik dudelte im Hintergrund. Wir lächelten uns verlegen an, bis Simon seine Zimmertür schloss, mich fest in die Arme nahm und meinen Rücken und meine Hüften streichelte.
»Hallo«, hauchte er noch einmal, in meine Haare hinein.
»Was ist das für Musik?«, fragte ich, in dem Versuch, normal zu wirken, obwohl mich Simon in Richtung seines Bettes manövrierte und mein Herz zum Stolpern brachte.
» Kind of Blue. Miles Davis.«
Wir legten uns auf Simons Bett, und er küsste mich auf den Hals. Langsam schloss ich die Augenlider, als ich seinen warmen Mund an meiner Kehle spürte. Aber ich konnte mich nicht richtig fallen lassen. »Gefällt dir Miles Davis nicht?«, fragte Simon und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Er spürte mein Zögern. »Dieses Stück, ›Blue in Green‹, mag ich am liebsten.«
»Klingt traurig«, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. »Aber schön.«
Es war schön, bei Simon zu sein und sein Gewicht zu spüren, als er halb auf mir lag. Ich fühlte ich mich geborgen. Aber zugleich war auch ich traurig. Ich starrte über Simons Schulter hinweg zum offenen Fenster, durch das eine leichte Brise hineinwehte und die Gardinen aufblähte. Vor dem Fenster stand ein kleiner Baum, und ich beobachtete, wie der Wind mit einem Blatt spielte, es abriss und davontrug, bis ich es nicht mehr sehen konnte.
Obwohl es so ein heller, heißer Tag war, spürte man, dass sich der Sommer dem Ende zuneigte. Im Wind lag bereits etwas Herbstliches. Vielleicht empfand aber auch nur ich so, weil ich ständig nach vorne und zurück blickte, anstatt im Hier und Jetzt zu leben. Letzte Nacht hatte ich es geschafft, loszulassen, aber jetzt erschien mir meine gestrige Sorglosigkeit wieder weit entfernt.
Die Musik endete, und eine Leere lag im Raum, als sei eben jemand hinausgegangen.
»Meine Tante und mein Onkel schicken Corinne von hier weg, auf eine andere Schule«, erzählte ich Simon.
»Bestimmt freut sie sich«, reagierte Simon. »Keinerlei elterliche Aufsicht mehr.«
»Nein«, entgegnete ich mitleidig und ergänzte: »Nein, ich glaube nicht, dass sie sich freut.« Dabei fragte ich mich, ob Corinne letztendlich deswegen so über die Stränge schlug, weil sie die Aufmerksamkeit ihrer Eltern suchte. Ganz offensichtlich waren meine Tante und mein Onkel seit einiger Zeit mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Ob sie sich scheiden lassen würden? Mir
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