Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
kamen die Tränen, und ich ärgerte mich darüber, dass ich so emotional reagierte. Warum würde es mich so sehr treffen, wenn meine Tante und mein Onkel sich scheiden ließen? Schließlich ging es nicht um meine Eltern. Trotzdem war der Gedanke sehr schmerzhaft. Er veränderte meinen Blick auf meine Kindheit und weckte in mir zugleich wehmütige Gedanken daran oder besser: daran, wie ich diese Zeit erlebt hatte.
Doch mir lag noch etwas anderes auf dem Herzen, ein noch schwereres Gewicht. Meine Sorgen in Worte zu fassen hätte sie jedoch nur verschlimmert. Simon und ich hatten die unausgesprochene Abmachung, nicht darüber zu reden, dass der jetzige Zustand nicht andauern konnte. Ich sah ihm in die Augen. Bald würden wir beide wieder in unsere verschiedenen Ecken des Landes zurückkehren müssen. Es war zu schwer, darüber zu sprechen, aber ich konnte den Gedanken auch nicht wieder in die dunkle Ecke schieben, aus der er gekommen war. Nicht mit diesen schönen grauen Augen direkt über mir, die kleine Sonnenflecken im Zimmer aufzufangen und widerzuspiegeln schienen.
Simon betrachtete mich unter seinen langen Wimpern hervor. »Sei nicht traurig«, sagte er leise, mit forschendem, nachdenklichem Blick, als erkunde er meine Gedanken. »Ich sehe dir an, dass du dir über die Zukunft Sorgen machst.« Er fuhr mit der Fingerspitze an meinem Kinn entlang. Ich drehte den Kopf. Mit sanfter Stimme fuhr er fort: »Dabei weißt du doch noch gar nicht, wie sich alles fügen wird.« Dann neigte er den Kopf, als ein neues Stück einsetzte. »Das weiß nur Miles Davis.«
Eine Trompetenmelodie schwoll im Hintergrund an und ab wie regelmäßiger Atem. Ich verschränkte meine Finger mit Simons, und sein Mund näherte sich meinem. Ich fragte mich, ob die Musik so schön war, weil etwas Trauriges darin lag. Und ob irgendeiner von uns im nächsten Sommer wieder hiersein würde …
Denk nicht an morgen. Bleib hier … Simons warme Lippen fanden meine, und ich schloss die Augen. Meine düstere Stimmung lenkte mich erst ab, aber Simons Küsse gewannen die Oberhand, und schon bald trat alles andere in den Hintergrund.
kapitel vierzehn
»Was für ein köstliches Essen, Kathleen!«
Simons Mutter lächelte, als meine Tante eine riesige Platte in Limonensaft marinierten, gegrillten Atlantiklachs servierte. Wir aßen draußen auf der Veranda. Ich hatte geholfen, den Spinatsalat und die Soße aus gegrillten Paprikas zuzubereiten, dabei jedoch die meiste Zeit wortlos in der Küche gestanden. Nach allem, was ich in letzter Zeit über Tante Kathleen erfahren hatte, war ich sauer auf sie und brachte es nicht fertig, so gesprächig zu sein wie sonst.
Und doch: Als ich zusah, wie sie die Speisen auf dem Tisch arrangierte und jeden ihrer Gäste anstrahlte, wurde mir warm ums Herz. Kathleen würde immer meine Tante bleiben. Ich würde sie immer lieben. Und sie bewies mir ihre Liebe, indem sie ein wunderbares Abendessen für Simons Familie zauberte, obwohl sie mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hatte. Onkel Rufus war vor ein paar Stunden in die Stadt gefahren, wo seine Anwesenheit in der Firma wegen irgendetwas Wichtigem erforderlich war. Ich hatte Rufus und Kathleen beobachtet, als sie neben seinem Auto gestanden und miteinander geredet hatten. Ich konnte die Anspannung von ihren Gesichtern ablesen. Doch Tante Kathleen war mit einem Lächeln im Gesicht ins Haus zurückgekehrt. Was immer geschah, sie würde nicht zulassen, dass dadurch der Abend verdorben wurde, den sie für Simons und unsere Familie geplant hatte.
Das Dinner nahm einen vielversprechenden Anfang. Simons Vater war sehr gesprächig und charismatisch und unterhielt meinen Vater mit Geschichten über die Gründung seiner Firma nach seiner Dienstzeit bei der Navy, die er direkt nach der Schule angetreten hatte. Dadurch konnten sich Mom und Tante Kathleen mit Simons Mutter unterhalten. Mrs Ross war schweigsam, schien aber dankbar für die Gesellschaft der Frauen zu sein. Und Mom gab sich wirklich große Mühe.
Ich war ein wenig schockiert gewesen, als sie sich der Familie Ross als ›Maxi‹ anstatt als Maxine vorgestellt hatte – Moms Spitzname, den ich schon immer peinlich fand. Dennoch hatte ich beobachtet, wie Moms Adlerauge über das leuchtend bunte Golfhemd und den Goldring mit dem Diamantsplitter am kleinen Finger von Simons Vater gehuscht war. Es fiel ihr schwer, mit der Warmherzigkeit und Offenheit meiner Tante zu wetteifern. Die Schwestern waren darin ähnlich
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