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Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Howells
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überschätzt.«
    »Überschätzt?« Meine Mutter wirkte nervös. Jetzt geht’s los. Ich konnte mir schon lebhaft die Predigt vorstellen, die ich mir heute Abend würde anhören müssen. Ein Künstler! Viel zu sorglos!
    Doch Simon ließ sich durch den Gesichtsausdruck meiner Mutter nicht aus der Fassung bringen. Wenn überhaupt, spornte er ihn noch dazu an, ihr seine Theorien über das Leben auseinanderzusetzen. »Ich habe das Gefühl, noch nicht für die Uni bereit zu sein. Vielleicht werde ich eines Tages studieren, aber nicht sofort nach der Schule.« Ich legte den Löffel weg.
    Munter fuhr Simon fort, unbeeindruckt von meinen warnenden Blicken. »Die Malerei bedeutet mir wirklich sehr viel. Ich möchte aus Erfahrung lernen. Mit dem Rucksack durch Europa ziehen. Hier und da jobben und an all den Orten malen, die Picasso und Vermeer, Tizian und Rembrandt hervorgebracht haben …« Simons Augen leuchteten. Mom saß reglos da. »Ich bin erst siebzehn, also sollte ich das Leben doch erst mal so nehmen, wie es kommt, wissen Sie, was ich meine?«
    Nein, antwortete ich im Stillen, das weiß sie nicht. Vor ihm saß die Person, die Evas Karriere bereits seit ihrer Geburt plante und sie für eine glänzende Zukunft vorbereitete und formte.
    »Ja, ich glaube, ich weiß, was du meinst«, antwortete Mom mit begeistertem Nicken. »Ich habe mir immer gewünscht, ein, zwei Jahre in Europa zu verbringen und die Straßentheaterkultur in Paris kennenzulernen. Vielleicht nicht unbedingt mit einem Rucksack, aber …«
    Das haute mich um. Ich lehnte mich zurück, die Augen starr auf meine Mutter geheftet, ein Stück Kiwi im Hals. Mom sah wie verzaubert aus. Sie war ganz und gar fasziniert von Simon und trank jedes seiner Worte mit glänzenden Augen.
    Doch vielleicht hätte ich mich gar nicht so sehr zu wundern brauchen. Simon hatte diese Wirkung auf andere Leute, die Fähigkeit, seine Zuhörer für eine Sache zu begeistern, an die diese womöglich nie zuvor gedacht hatten.
    »Unser Sohn ist ein Träumer, Maxine«, mischte sich Simons Vater ein und riss damit meine Mutter aus ihren schwärmerischen Europa-Phantasien. Offenbar hatte er die Konversation mitgehört. »Doch die Realität sieht anders aus. Es ist beschlossene Sache: Simon wird die Wirtschaftshochschule von Wharton besuchen.«
    »Vielleicht ist das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu diskutieren, Dad«, erwiderte Simon steif.
    »Simon ist nicht begeistert, aber man kann nicht immer nur das tun, was man will«, sagte Mr Ross leichthin, aber in angespanntem Tonfall.
    »Doch, wenn man selbst dafür aufkommt«, entgegnete Simon ruhig, aber sein Vater schüttelte den Kopf.
    »Du kannst tun und lassen, was du willst, wenn du mit dem College fertig bist.« Mr Ross blickte von seinem Sohn zu meiner Mutter. »Unsere anderen Söhne haben beide in Wharton studiert.«
    »Familientraditionen sind etwas sehr Schönes«, pflichtete ihm meine Mutter bei, offenbar beeindruckt von den ausgezeichneten Beziehungen, die Simons Familie pflegte. Oder sie wollte nur höflich sein, indem sie über die Spannungen geflissentlich hinwegging.
    »Traditionen?«, höhnte Simon. »Dazu bedarf es wohl mehr als einer Generation.«
    Simons Vater rang um Fassung und lief vor Wut rot an. »Unser Ältester ist jetzt in der Navy«, sagte er dann stolz. »Dort macht er eine glänzende Karriere. Ein College wie Wharton stattet junge Menschen mit dem nötigen Rüstzeug für das ganze weitere Leben aus, egal, welchen Weg sie von dort aus beschreiten.«
    »Es scheint, als wollte Simon einfach seine eigenen Entscheidungen treffen, George«, mischte sich mein Vater ein. Das erstaunte mich. Mein zurückhaltender Vater redete nie viel, besonders, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen anderen entstanden. »Manchmal muss man sich einfach seinen eigenen Weg bahnen. Ich habe das nicht getan, sondern den Familienbetrieb übernommen. Meine Frau dagegen war ein Freigeist«, fügte er hinzu und lächelte dabei Mom an.
    »Die Wirtschaftsuniversität bildet eine solide Grundlage für alles andere. Dort lernt man, seinen Kopf zu gebrauchen«, fuhr Simons Dad fort und schenkte sich Wein nach.
    »Du meinst so, wie die ganzen Wirtschaftsbosse, die das Geld ihrer Mitmenschen verzockt und unsere Wirtschaft ruiniert haben?«, gab Simon zurück.
    Am Tisch herrschte betretenes Schweigen. »Du hast keine Ahnung, wovon du redest!«, blaffte Simons Vater. »Und wer um solche Mechanismen weiß, ist ohnehin ein privilegierter

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