Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
verschieden wie Corinne und ich, was mir auffiel, als ich Mom und Kathleen gemeinsam erlebte. Die eine war von Natur aus geselliger als die andere. Und als ich sie ansah, kamen mir unwillkürlich die Worte meines Vaters in den Sinn: Wenn eine von beiden eine Romantikerin ist, dann deine Mutter. Die Vorstellung erschien mir noch immer absurd.
»Der Countdown läuft«, bemerkte Simon, der mir folgte, als ich in die Küche ging, um den Limonadenkrug aufzufüllen. »Ich bin mal gespannt, wie lange es noch dauert, bis mein Vater laut wird oder Geschmacklosigkeiten von sich gibt«, fügte er hinzu. »Sollen wir wetten? Vor oder nach Sonnenuntergang?«
»Vielleicht beherrscht er sich ja«, antwortete ich, und dann hängte sich Eva plötzlich an meinen Ellbogen und heischte um Aufmerksamkeit. »Hör auf, an mir rumzurupfen«, schalt ich sie. »Gleich lasse ich noch etwas fallen.«
»Siiiimon«, säuselte sie mit nervtötendem Singsang. »Bist du Mias Freund ?«
»Eva!« Ich starrte sie an, und sie grinste frech.
»Jaaa, Eeeeva«, erwiderte Simon und wuschelte meiner Schwester durch die Haare. »Ich bin Mias Freund .«
Evas Augen leuchteten auf, und sie flitzte hinaus auf die Terrasse, garantiert auf der Suche nach einem größeren Publikum. Obwohl ich sauer auf sie war, errötete ich vor Freude. Ich warf Simon einen verstohlenen Blick zu. Mein Freund. Zum ersten Mal bildete ich mir nicht nur etwas ein. Zum ersten Mal traf das Wort wirklich zu.
»Ich hasse Kochen!«, maulte Beth, als wir in die Küche kamen. Sogar wenn sie genervt war, sah sie umwerfend schön aus – sie trug ein seidiges, rot-weiß gestreiftes Kleid, in dem ich einem Strandsonnenschirm geglichen hätte. Sie rümpfte die Nase und schob vorsichtig eine Jakobsmuschel auf ein Stück Alufolie. Diesmal hatte meine Tante uns alle mit eingespannt (vielleicht als kleine Strafe für die Party?), und ich musste unwillkürlich lachen, als ich sah, wie Beth das Gesicht verzog.
»Mein Gott, ich brauche einen Cocktail oder so«, stöhnte Corinne, die auf der Anrichte hockte und Erbsen schälte, wozu man sie verdonnert hatte. »Ich kriege einen Mordsdurst von dem ganzen Familienzeug.«
Doch sie lächelte Simon und mich an. Ich wusste, dass Corinne sich für mich freute, dass wir diesen Grillabend veranstalteten. Seit unserem textilfreien Bad hatten Corinne und ich irgendwie eine unsichtbare Grenze überwunden. Vieles war unausgesprochen geblieben, aber wir verstanden uns oft auch ohne Worte. Ich wusste, dass Corinne unglücklich war, aber sie hatte mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich es mir nicht zu sehr zu Herzen nehmen solle. Ich hatte ein paar Mal versucht, mit ihr zu reden, aber sie hatte nur abgewinkt und mich ermuntert, Zeit mit Simon zu verbringen.
»Essen ist fertig!«, rief meine Tante. Wir gingen alle zu Tisch und luden uns die Teller voll.
Als alle herzhaft zulangten, entspannte ich mich ein wenig. Das lief doch ganz gut! Leckeres Essen löste eine Menge Probleme.
Simon machte geistreich Konversation, aber ich sah einen kleinen Muskel in seiner Wange zucken, als Mr Ross einen tiefen Zug von seinem Drink nahm. Ich rutschte näher an Simon heran und presste mein Knie gegen seines, um ihn daran zu erinnern, dass er nicht alleine war. Falls unsere Verwandtschaft peinlich werden würde – zu laut oder taktlos –, würden wir darüber hinwegkommen.
Plätschernde, seichte Unterhaltungen (und reichlich Wein für die Erwachsenen) rettete uns über das Abendessen, bis der Nachtisch kam. Während Tante Kathleen Himbeeren und Kiwischeiben in Schüsselchen füllte und die Väter über Hochseefischen diskutierten, erkundigte sich Mom nach Simons Zukunftsplänen. »Du machst doch nächstes Jahr deinen Abschluss. Weißt du schon, was du studieren willst?«, fragte sie und führte einen Löffel Himbeeren zum Mund.
Ich erstarrte. Genau diese Entwicklung hatte ich befürchtet. Jetzt war es soweit. Und Mom würde die Antwort nicht gefallen. Simons Ziellosigkeit wäre nicht nach ihrem Geschmack. Was ich an ihm liebte – seine Leichtherzigkeit, die Tatsache, dass er sich selbst nicht allzu ernst nahm –, würde ihr nicht behagen. Mom vertrat traditionelle Ansichten: Männer hatten ernsthaft zu sein und die Leichtfertigkeit den Frauen zu überlassen.
»Nun, Mrs Gordon, ich bin kein großer Planer«, antwortete Simon, während ich ihm eine Schüssel mit Obst reichte. »Ich halte Planung ohnehin für allgemein
Weitere Kostenlose Bücher