Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
junger Mensch. Wie, glaubst du wohl, bezahle ich die Gebühren für deine Privatschule, mein Sohn?« Er trank einen tiefen Zug von seinem Wein.
»Ich hätte mich um die Möglichkeiten gerissen, die ich meinen Jungs biete. Aber …« – Mr Ross zuckte die Achseln – »wenn einem alles auf dem Silbertablett präsentiert wird, weiß man es nicht zu schätzen und kennt kein Pflichtgefühl. Jedenfalls gilt das für unseren Jüngsten.« Er stieß ein freudloses Lachen aus.
»Dad, lass uns bitte das Thema wechseln. Wir langweilen die anderen nur.« Simons Ton klang lässig, doch ich wusste, dass er beschämt und sauer war. Ich glaubte auch, noch etwas anderes in Simons Augen erkennen zu können: Er hatte Angst vor seinem Vater. Über den Tisch hinweg trafen sich ihre zornigen Blicke, die wie die Fortsetzung einer wütenden privaten Auseinandersetzung wirkten.
»Du wirst sehen, mein Sohn, dass die Wirtschaftshochschule ganz anders ist, als du glaubst. Ich bin ja selbst ein großer Kunstliebhaber.« Mr Ross wandte sich der gesamten Tischgesellschaft zu. »Ich besitze mehrere Kunstwerke. Erst vor kurzem habe ich ein Gemälde von Jackson Pollock erworben.« Er lächelte in die Runde. »Aber ein junger Mann, der seine Collegejahre malend in Cafés verbringt?« Er schüttelte den Kopf, den Blick auf Simon geheftet. »Nicht, nachdem ich so viel in deine Ausbildung investiert habe.«
»Wer ist Jackson Peacock?«, fragte Eva, und diesmal antwortete ihr nicht einmal meine Mutter.
»Ach ja, der Jackson Pollock«, sagte Simon leichthin und nahm einen Löffel Obst. »Bewahrst du den nicht in einem Safe auf?«
»Er ist zu wertvoll, um ihn aufzuhängen«, erwiderte Mr Ross.
»Zu wertvoll, um ihn aufzuhängen«, echote Simon fast unhörbar, aber Mr Ross schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Alle erstarrten bei dem lauten Knall. »Wann wirst du endlich lernen, den Mund zu halten?«, knurrte Mr Ross.
»Keine Ahnung, Dad. Bei dir ist es ja wohl zu spät«, antwortete Simon ruhig.
»Hey, warum gehen wir nicht runter an den Strand, während unsere Eltern Kaffee trinken?«, schlug Corinne laut und mit aufgesetztem Lächeln vor. Sie sprang auf und sah der Reihe nach Simon, mich und Beth an.
»Einverstanden«, antwortete ich rasch und stand auf, um die Teller abzuräumen.
»Kommen Sie, ich nehme Ihren Teller mit, Mr Ross«, zirpte Corinne zuckersüß. Ich nahm den Teller von Mrs Ross. Während der gesamten Unterhaltung hatte sie keinen Ton gesagt. Ihr Blick war traurig, aber auch abwesend, als sei sie mit den Gedanken ganz woanders. Simon murmelte, er wolle noch mehr Limonade holen gehen, doch als wir in die Küche kamen, lehnte er bedrückt am Kühlschrank, die Mundwinkel mutlos nach unten gezogen, sein Blick verletzlich und wütend zugleich.
»Hier, trink ein Bier«, sagte Corinne, zog einen Sixpack aus dem Kühlschrank und klaute drei Dosen.
»Er darf keinen Alkohol trinken«, wandte ich automatisch ein, aber Simon nahm das Bier an.
»Eins wird ihn schon nicht umbringen«, bemerkte Corinne und schnappte ihre Strandtasche. »Kommt, lasst uns abhauen.«
»Ich komme!«, rief Eva und lief hinter uns her, als Corinne, Beth, Simon und ich in die Dünen stapften. »Mom und Dad haben gesagt, ich darf mit!«
»Natürlich darfst du, Eva«, ermunterte sie Beth, nur Sekundenbruchteile bevor ich das Gegenteil sagen konnte. Andererseits machte es mir nicht besonders viel aus, ob Eva mitkam oder nicht. Meine Sorge galt Simon mit seinen mutlos hängenden Schultern und dem Flackern von abgrundtiefer Wut in seinen Augen. Ich hoffte, wir könnten ein Stück allein spazieren gehen, damit er dem Ärger über seinen Dad Luft machen konnte.
Doch Simon lag anscheinend lieber in den Dünen, schlürfte sein Bier und sah zu, wie mit dem goldrosa Sonnenuntergang die Dämmerung hereinbrach, den Mund zu einem angespannten Strich zusammengepresst. Etwas besorgt fragte ich mich, wie sich wohl das Bier mit seinem Medikament gegen die Epilepsie vertragen würde, aber er sagte nichts. Er war offensichtlich zu aufgebracht, um sich darüber Gedanken zu machen. Und obwohl er sich ein Lächeln abrang, als ich ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte, biss er weiter fest die Zähne zusammen.
»Es tut mir leid, dass es so gelaufen ist, Mia«, entschuldigte sich Simon. »Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen.«
»Ist doch nicht deine Schuld«, erwiderte ich sanft.
Wir sahen Eva und Beth hinterher, die hinunter ans Wasser gingen.
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