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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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einfach auffallen.
    Bianca fuhr zunächst direkt zur Gerichtsmedizin. Da sie einen akademischen Grad vorweisen konnte, würde sie wahrscheinlich die größten Chancen haben, von den Mitarbeitern dort mehr Informationen zu bekommen.
    Auf der Hinfahrt prägte sie sich die Umgebung genau ein. Erleichtert registrierte sie, dass das Gebäude bereits am Stadtrand lag. Ihre Horrorvision, Werner würde durch belebte Fußgängerzonen wanken, würde sich demnach nicht erfüllen.
    Sie stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude ab, stieg aus, stellte sich bei dem Pförtner mitsamt Doktortitel vor und bat darum, den zuständigen Pathologen zu sprechen.
    Der Pförtner tätigte ein kurzes Telefonat und wies ihr anschließend den Weg zu ihrem Gesprächspartner.
    Ein gewisser Doktor Wagner empfing sie an der Tür zu einem Sektionsraum.
    „Guten Abend, Frau Kollegin“, sagte er. „Wie ich hörte, kommen Sie wegen der verschwundenen Leiche.“
    „Das ist korrekt“, antwortete Bianca.
    „Darf man den Grund Ihres Interesses erfahren?“
    „Darf man“, antwortete Bianca kühl. „Er war ein persönlicher Freund und ich war auch diejenige, die ihn vom Seil abgeschnitten und versuchsweise reanimiert hat.“
    „Als Ärztin sollte ihnen aber aufgefallen sein, dass sein Genick gebrochen war. Warum also noch die Reanimationsversuche?“
    Bianca verfluchte sich innerlich selbst für ihre Torheit. Diesen Arzt sollte sie besser nicht unterschätzen.
    „Das habe ich dann auch gemerkt“, antwortete sie schließlich. „Wie ich schon sagte, er war ein Freund von mir. Als ich ihn am Glockenseil hängen sah, konnte ich im ersten Augenblick noch nicht klar denken.“
    Der Pathologe nickte. Er schien sich zunächst mal mit dieser Begründung zufriedenzugeben.
    „Kommen Sie mit“, sagte er dann.
    Bianca folgte ihm in einen großen Raum, der bis unter die Decke gekachelt war. In der Mitte des Raumes standen fünf Sektionstische aus Edelstahl.
    Bianca fröstelte. Sie hatte diese Räume noch nie gemocht.
    „Man braucht einige Zeit, um sich hier an alles zu gewöhnen“, sagte Dr. Wagner, als er bemerkte, dass sich Bianca deutlich unwohl fühlte.
    „Ich habe ein Jahr in der Pathologie gearbeitet“, entgegnete Bianca. „Daran gewöhnt habe ich mich aber nicht.“
    Der Pathologe deutete auf den linken der fünf Sektionstische.
    „Hier lag er“, teilte er ihr mit. „Wir hatten schon alles für die Obduktion vorbereitet. Als wir anfangen wollten, war er weg.“
    „Was haben Sie dann gemacht?“
    „Wir haben das Gebäude und das Gelände gründlich durchsucht. Aber er war nirgends zu finden. Danach haben wir die Polizei gerufen.“
    „Wie lange ist es denn her, dass er verschwunden ist?“, fragte Bianca.
    „Zwei, allerhöchstens drei Stunden“, sagte Dr. Wagner.
    „Dann kann er ja zum Glück noch nicht weit sein“, sagte Bianca mehr zu sich.
    „Wie bitte?“, fragte der Pathologe erstaunt.
    Bianca hätte sich ohrfeigen können. Wenn der Pathologe bislang noch nicht misstrauisch war, dann würde er es jetzt sein.
    „Was meinen Sie damit?“, hakte er nach.
    „Ach nichts ...“ Bianca lächelte nervös. „Ich meine, Tote können doch nicht einfach verschwinden ...“
    „Können sie doch“, widersprach der Arzt. „Und nun raus mit der Sprache. Sie verheimlichen mir doch etwas. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Sie überhaupt keine Ärztin sind.“
    Es hatte keinen Zweck. Bevor sich Bianca jetzt in eine Lügengeschichte verstrickte, zog sie es vor, so weit es eben ging, bei der Wahrheit zu bleiben.
    „Habe ich auch nie behauptet“, entgegnete sie daher.
    „Und was soll dann diese Lügengeschichte, Frau Wallmann?“
    „Frau Doktor Wallmann, bitte“, entgegnete Bianca spitz. „Ich habe meinen akademischen Grad nicht in der Lotterie gewonnen. Ich bin Mikrobiologin.“
    „Also doch ein wenig vom Fach.“ Dr. Wagner seufzte. „Also gut. Ich will jetzt trotzdem wissen, was Sie mir verheimlichen.“
    „Und ich würde das auch allzu gerne erfahren“, sagte eine Stimme hinter ihr.
    Bianca drehte sich wie von der Tarantel gestochen um.
    „Ich darf vorstellen“, sagte Doktor Wagner süffisant, „Kommissar Kellermann von der Mordkommission.“
    5.
Anna fuhr so langsam, dass sie schon mehr als einmal Hupkonzerte über sich ergehen lassen musste, wenn einer ihrer Hintermänner nicht so schnell überholen konnte, wie er es gerne hätte.
    Anna tat, was sie in einer solchen Situation immer zu tun pflegte.

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