Der Sommer der Toten
Bürgermeister eindringlich an.
Der Bürgermeister nickte widerwillig.
„Und auf dem Friedhof hat es heute auch einen furchtbaren Zwischenfall gegeben“, fuhr Pfarrer Schuster fort.
„Was ist passiert?“, fragte Bianca.
„Heute Vormittag – es muss so gegen elf Uhr gewesen sein – habe ich auf dem Friedhof nach dem Rechten gesehen“, berichtete er. „Ich wollte vor allem auch sicherstellen, dass nicht auch tagsüber Leichen herumlaufen, wenn Besucher kommen. Bei dieser Hitze nehmen aber nur die Wenigsten den steilen Aufstieg in Kauf. Dennoch kann ich im Moment nicht vorsichtig genug sein. Zu diesem Zeitpunkt war nur eine Frau aus dem Dorf dort oben. Sie hatte das Grab ihres Mannes gepflegt, der vor sechs Monaten gestorben ist. Ich habe mich kurz mit ihr unterhalten. Ich wollte wieder zurück in die Kirche gehen, als die Frau plötzlich von einer Sekunde auf die andere lichterloh in Flammen stand. Ich habe versucht, das Feuer zu löschen, aber jede Hilfe kam zu spät. Es dauerte nicht mal zwei Minuten, ehe diese Frau vollständig verkohlt auf dem Boden lag.“
„Um Himmels willen“, sagte Bianca erschüttert. „Was war das für ein Feuer? So schnell kann doch kein Mensch so massiv verbrennen ...“
„Vielleicht das Feuer der Scheiterhaufen von damals“, sagte Pfarrer Schuster düster. „Ich habe ehrlich keine Ahnung. Als die Polizei und der Notarzt gekommen sind, konnten sie nur noch eine völlig verkohlte Leiche abtransportieren. Und obwohl die Frau so entsetzlich gebrannt hat, sind auf dem ganzen Friedhof keinerlei Brandspuren zu sehen. Wir sind alle ratlos.“
„Ich habe ja schon mal etwas von spontaner Selbstentzündung gelesen“, sagte Bianca, „aber ich habe das alles in das Reich der Fantasien geschoben.“
„Ganz offensichtlich ist das nicht der Fall“, entgegnete der Priester ratlos. „Auch ich habe dahinter eher Aberglauben vermutet. Aber ich glaube, wir müssen hier bei vielen Dingen lernen, umzudenken.“
Anna kam an den Tisch. Ihr Blick wirkte beunruhigend.
„Was ist los?“, fragte Bianca, die sofort erkannte, dass etwas nicht stimmte.
„Da kam gerade ein Anruf von Ihrer Haushälterin, Herr Pfarrer“, erklärte Anna.
„Ja und?“
„Sie sagte, die Polizei hat gerade angerufen. Aus der Gerichtsmedizin ist Werners Leiche verschwunden.“
4.
„Ich weiß, dass Sie diese Dinger nicht mögen“, sagte Bianca eindringlich, als sie Pfarrer Schuster ein Handy in die Hand drückte. „Aber ich habe meine Handynummer bereits einprogrammiert. Drücken Sie einfach auf die Taste mit der Eins und dann auf diesen grünen Knopf hier. Wenn Sie auflegen möchten, drücken Sie auf den roten Knopf.“
Pfarrer Schuster nickte und steckte das Mobiltelefon widerwillig ein.
Nachdem Anna mit der neuen Hiobsbotschaft herausgerückt war, hatten sie eilends einen Schlachtplan entworfen.
Niemand hatte einen Zweifel daran, dass Werner selbst als lebender Toter ausgerückt war. Alle vermuteten auch, dass er wieder nach Berghausen zurückkehren würde. Allerdings war die Gerichtsmedizin gut zwanzig Kilometer von Berghausen entfernt. Wenn Werner sich in dem gleichen Tempo fortbewegte wie der Tote auf dem Friedhof, würde er wahrscheinlich mehrere Wochen benötigen. Allerdings war es wichtig, dass er so schnell wie möglich gefunden wurde. Die Folgen wären kaum vorstellbar, wenn er entdeckt werden würde.
Für den Fall, dass Werner auf einem konventionellen Weg zurück nach Berghausen gefunden hätte – etwa auf der Ladefläche eines Lastwagens -, würden Pfarrer Schuster und der Bürgermeister den Ort systematisch durchkämmen.
Anna und Bianca würden mit ihren Autos zuvor besprochene Routen abfahren und nach der Leiche Ausschau halten. Klaus hatte von dem Bürgermeister einen Unimog vom Forstamt bekommen. Er würde die unwegsameren Waldwege durchkämmen. Wer etwas fand, würde über Handy die anderen informieren.
Auf keinen Fall würde derjenige alleine versuchen, die Leiche in das Auto zu zerren. Biancas angeknackste Rippe war für alle Warnung genug.
Dann fuhren sie los. Niemandem war wohl bei dieser Expedition und jeder hoffte innerlich, er würde nicht die Person sein, die Werner als Erste entdeckte.
Pfarrer Schuster hatte nochmals mit der Polizei telefoniert. Werner musste auffallen. Seine Leiche war in der Pathologie entkleidet worden. Das machte die Sache natürlich noch pikanter, denn wenn ein nackter Mann mit dieser seltsamen Gangart durch die Straßen lief, dann musste er
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