Der Sommer der toten Puppen
Spiel fortzusetzen und den Tod des Doktors aufzunehmen. Was das Video deiner Ex betrifft ... Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Fernández behauptet, er hätte es unter den Aufnahmen von Omar gefunden.« Andreu machte eine Pause. »Er sagte noch, der Doktor hätte in den Tagen vor seinem Tod etwas vorbereitet, eins seiner Rituale.«
»Gegen mich?«
»Ist doch egal, Héctor. Er ist tot. Vergiss es. Denk einfach daran, dass es genügend Beweise gibt, um beide anzuklagen. Und dich zu entlasten ...«
Die kurze Stille, die darauf folgte, war eine verbindende. Voller Dankbarkeit, Freundschaft.
»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Ehrlich.«
Sie fasste sich an die Stirn, die lange Nacht forderte ihren Preis.
»Keine Sorge, mir wird schon etwas einfallen.« Es ist zu spät jetzt ... oder zu früh.« Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: »Was machst du? Gehst du nachhause?«
Er schüttelte den Kopf.
»Morgen muss ich wohl. Aber heute schlafe ich lieber in meinem Büro, das kannst du mir glauben. Es ist nicht das erste Mal.«
SONNTAG
37
Der Flughafen war ein einziges Gewimmel von Touristen mit Gepäckwagen und Rollkoffern. Einige warfen einen letzten Blick zurück auf die Sonne, die sie begleitet und am Strand oder vor Gaudís Pedrera gebräunt und ins Schwitzen gebracht hatte, dieses Gestirn, das beim Eintreffen an ihren nördlichen Zielen verschwunden wäre oder allenfalls zaghaft hinter einem Wolkenberg hervortauchte. Andere strebten mit hoffnungsfrohen Mienen auf den Ausgang zu, auch wenn sie erst einmal stehen blieben, als sie aus dem klimatisierten Ambiente des neuen Terminals mit seinen Böden wie schwarzen Spiegeln traten und ihnen die Hitze ins Gesicht schlug.
Leire hatte Héctor auf seine Bitte hin zuhause abgeholt. Sie wunderte sich, als sie seinen Anruf erhielt, sie hatten vereinbart, dass sie allein zum Flughafen fahren und Inés empfangen sollte. Héctor war in aller Frühe in seine Wohnung gegangen – nur kurz, um sich zu duschen und umzuziehen – und schien bester Laune. Die Augenringe waren noch da, keine Frage, aber sein Gemütszustand, dachte sie, hatte sich verändert. Nicht dass sie selber viel geschlafen hätte. Noch dazu war der heutige Anfall von morgendlicher Übelkeit der bisher schlimmste gewesen. Schlimmer als ein gewaltiger Sonntagskater.
Der Flug hatte nur wenig Verspätung, und sie erkannten sie sofort. Die junge Frau, die gleich auf den Ausgang zuging, nicht sehr groß, mit lockigem Haar und etwas pummeliger als auf dem Foto, hatte wenig Rätselhaftes an sich. Héctor trat auf sie zu:
»Inés Alonso?«
»Ja.« Sie sah den Inspektor verschüchtert an. »Ist etwas?«
Er lächelte.
»Ich bin Inspektor Salgado, und das ist meine Kollegin Castro. Wir sind gekommen, um dich abzuholen und zu Joana Vidal zu bringen, der Mutter von Marc.«
»Aber ...«
»Keine Sorge. Wir möchten nur mit dir sprechen.«
Sie senkte den Kopf und sagte leise, sie sei einverstanden. Ohne ein Wort folgte sie ihnen zum Wagen. Auch während der Fahrt sagte sie nichts und beantwortete nur höflich ein paar banale Fragen. Sie saß nachdenklich auf der Rückbank und hielt ihr einziges Gepäck, einen hohen Rucksack, neben sich umklammert.
Schweigend folgte sie ihnen die steile Treppe hinauf zu Joanas Wohnung. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen dachte Héctor, dass er sich seit dem gemeinsamen Frühstück am Vortag nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. Doch als Joana sie empfing, bemerkte er eine Veränderung an dieser Frau. Ihre Schritte und ihre Stimme verrieten eine Selbstsicherheit, die er bisher nur flüchtig wahrgenommen hatte.
Sie führte sie ins Esszimmer. Die Fenster standen offen, das Licht flutete herein.
»Ich musste der Polizei sagen, dass du kommst«, sagte Joana zu der Unbekannten, die wie die anderen Platz genommen hatte, aber kerzengerade, als würde sie gleich eine mündliche Prüfung ablegen müssen.
»Vielleicht ist es so am besten«, flüsterte sie.
»Inés«, schaltete Héctor sich ein, »du hast Marc in Dublin getroffen, nicht wahr?«
Zum ersten Mal lächelte sie.
»Ich hätte ihn nie wiedererkannt. Aber er hat meinen Namen auf der Liste des Studentenwohnheims gesehen. Und irgendwann hat er mich angesprochen und gefragt, ob ich Inés Alonso bin.«
Héctor ermunterte sie, weiterzusprechen.
»Er hat sich vorgestellt, dann sind wir etwas trinken gegangen.« Sie sprach mit sanfter, aufrichtiger Stimme. »Ich glaube, er hat sich in mich verliebt. Am Anfang haben
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