Der Sommer der toten Puppen
war, dachte ich. Dann ließ er sich neben mich fallen und lächelte, oder fast. Ich fragte ihn: Hast du mir das Geschenk mitgebracht? Jetzt lächelte er richtig. Er öffnete den Rucksack und nahm eine Tüte heraus. Ich hoffe, er gefällt dir. Es war nichts Eingepacktes, also schaute ich in die Tüte. Nimm ihn heraus!, sagte er. Es war ein erdbeerrosa Bikini. Er gefiel mir sehr. Dann sagte er: Zieh ihn an. Mal sehen,ob es deine Größe ist. Ich war mir nicht sicher, aber er sagte: Komm schon, ich will sehen, ob er dir passt. Du kannst dich in der Höhle umziehen, wenn du dich schämst. Er hatte eine raue Stimme. Damals wusste ich nicht, dass er diese Stimme immer hat, wenn er spielen will oder sich ärgert. Langsamer auch. Und wenn er mit dieser Stimme spricht, blickt er immer woandershin, als würde er nicht mit dir sprechen. Als wäre er es, der sich schämt.
Ich ging mich umziehen und kam im Bikini heraus. Ich ging auf und ab, wie die Models auf dem Laufsteg. Und so wie er mich ansah, fühlte ich mich schön. Dann sagte er: Setz dich neben mich. Ich setzte mich, aber es war unbequem, die Steinchen auf dem Boden drückten sich mir in die Beine. Er nahm ein Handtuch aus dem Rucksack und breitete es für uns beide aus. Wir legten uns hin und schauten eine Weile zu, wie das Licht durch die Bäume sickerte. Ich erzählte ihm ein paar Sachen von mir, und er hörte richtig gut zu. Du bist sehr hübsch, flüsterte er und strich mir übers Haar. In dem Moment fühlte ich mich wie das hübscheste Mädchen der Welt.
Den Bikini habe ich dann versteckt, so wie er es mir gesagt hatte, damit Inés ihn nicht fand. Meine Mutter hat ihn natürlich gefunden, klar, sie meinte, eins der Mädchen müsse ihn vergessen haben. Ich lächelte nur und dachte, dass dieses Geschenk, so wie er gesagt hatte, unser Geheimnis war. Erst im nächsten Sommer habe ich ihn wieder angezogen, an dem Tag, als die Betreuer kamen, aber er hat es nicht bemerkt. Ich war gleich schwimmen gegangen, so wie im Jahr davor, aber er war mit den anderen beschäftigt und achtete nicht auf mich. Als ich ihm später auf dem Gang begegnete, sagte er sehr ernst: Im Becken müsst ihr eure Badeanzüge tragen. Und dann zwinkerte er: Den rosa Bikini kannst du anziehen, wenn wir uns bei der Höhletreffen, schließlich habe ich ihn dir geschenkt. Ich wusste nicht, was er meinte, aber ich nickte. Komm morgen um vier, sagte er leise, und dann erzählst du mir, wie es dir im letzten Jahr ergangen ist. Ich freute mich riesig, ich hatte ihm so viel zu erzählen, von der Schule, von meinen Freundinnen, aber gesprochen haben wir dann kaum. Als ich hinkam, war er schon da und saß auf demselben Handtuch wie im Jahr davor. Du kommst zu spät, schimpfte er, auch wenn das gar nicht stimmte. Ich habe den Bikini schon an, hier drunter, sagte ich, damit er nicht noch böser wurde. Und da lachte er, und ich begriff, dass er mich nur auf den Arm nehmen wollte, aber er sprach weiter, als wäre er doch böse. Ach ja? Das glaube ich dir nicht, du kommst nicht nur zu spät, du lügst auch noch ... Und lachend nahm er mich bei den Schultern, warf mich auf das Handtuch und kitzelte mich. Mal sehen, ob das stimmt, sagte er immer wieder und steckte seine Hände unter mein T-Shirt. Na so was, tatsächlich, da ist er ja. Ich musste auch lachen, obwohl seine Hände heiß waren, sehr heiß. Dann legte er sich über mich und streichelte mein Gesicht, und immer wieder sagte er, du bist so hübsch. Du bist noch hübscher als im letzten Jahr. Ich schämte mich ein bisschen und merkte, wie meine Wangen rot wurden. Ist dir heiß?, fragte er. Dann werde ich dich ausziehen, als wärst du eine Puppe, sagte er und lächelte. Er hatte wieder diese seltsame Stimme, und ich sagte nichts, als er mir das T-Shirt auszog und die Hose herunterstreifte. Meine Puppe bist du, flüsterte er immer wieder. Ich konnte ihn kaum hören. Er streichelte mir über das Haar, den Arm, kitzelte mich am Hals. Ich schloss die Augen, sah nichts mehr. Aber dann merkte ich, dass auf meinem Bauch eine warme Flüssigkeit war. Ich schlug erschrocken die Augen auf und sah einen weißen, schleimigen Fleck. Ich versuchteaufzustehen, ich ekelte mich, aber er ließ mich nicht. Pst, sagte er immer wieder, pst ... Puppen sprechen nicht.
Leire musste an sich halten, um ihr nicht die Blätter aus der Hand zu reißen. Héctor, neben ihr, nahm sie bei der Hand. Sie schloss die Augen und hörte weiter zu.
In dem Sommer lernte ich, seine Puppe zu sein.
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