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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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erhalten hatte. »Immeriris möchte mit dir auf Facebook befreundet sein.«Das verschwommene Foto eines blonden Mädchens, das in die Sonne blinzelte.
    »Du auch?«, fragte sie.
    »Kann mich mal«, sagte er und klickte auf den Button zum Ablehnen.
    »Das habe ich eben auch gemacht.« Und auf einmal, wie aus heiterem Himmel, kamen ihr die Tränen. Sie versuchte sie zurückzuhalten, aber sie schaffte es nicht.
    »Gina ...« Er stand auf und umarmte sie. »Ist schon gut, mein Mädchen. Schon gut.«
    Sie lehnte sich an seine Brust. Glatt, hart, durch nichts zu erschüttern. Sie schluchzte wie ein kleines Kind und schämte sich.
    »Komm jetzt, Schluss, es reicht. Die Sache ist vorbei.« Er schob sie sanft von sich und wischte ihr mit den Fingerkuppen die Tränen ab. Sie versuchte zu lachen.
    »Ich bin so dumm.«
    »Nein, gar nicht.« Er schaute sie gütig an, liebevoll, wie ein älterer Bruder. »Aber wir müssen das Ganze vergessen. Es war Marcs Ding, wir haben nichts damit zu tun.«
    »Ich vermisse ihn so.«
    »Ich auch.«
    Sie wusste, dass er log, und bei dem Gedanken wurde ihr unwohl und sie trat ein Stück zurück.
    »Ach ja, der USB-Stick«, sagte er, »den gibst du lieber mir, oder?«
    Sie fragte nicht, warum. Sie zog die Schublade auf und gab ihm den Stick. Aleix zögerte kurz, dann steckte er ihn ein und lächelte.
    »Lass uns runtergehen. Sollen sie endlich kommen, damit das Ganze aufhört. Und denk dran, kein Wort. Über nichts.«
    Gina sah es in seinen Augen. Diesen Anflug von Angst. Die leise Drohung. Deshalb war er gekommen. Nicht weil er beiihr sein wollte oder sich um sie sorgte, sondern weil er kein Vertrauen hatte in die kleine Gina, wenn die Polizei sie unter Druck setzte. Das Gesicht von Marc kam ihr in den Sinn, wie es sich verdüsterte, und sie vernahm seine zittrige Stimme, fast unhörbar, »ein Arschloch bist du, ein Riesenarschloch, echt«, während hinter dem Fenster die Raketen am Himmel explodierten. Sie spürte, wie eine Hand sie am Arm packte. Er schaute sie immer noch fest an.
    »Das ist wichtig, Gina. Ohne Scheiß.«
    Er ließ sie los, und sie strich sich übers Handgelenk.
    »Habe ich dir weh getan?« Er streichelte sie »Entschuldige. Das meine ich ernst.«
    »Nein.« Warum sagte sie das, wo sie das Gegenteil dachte? Warum ließ sie zu, dass er sie wieder küsste, auf die Stirn, obwohl sein Schweißgeruch sie ekelte?
    Noch ehe sie nach einer Antwort suchen konnte, die sie ohnehin nicht gern gefunden hätte, klingelte es.
    Der Pförtner des Gebäudes an der Via Augusta, kurz vor der Plaza Molina, zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt davon, dass zwei Polizeibeamte zu einem der Hausbewohner wollten. Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben, als bedeutete es eine unvorstellbare Anstrengung, als gehörte es sich nicht, dies um zehn vor fünf, an einem der heißesten Tage des Sommers, von einem Mann zu erwarten, der seiner ehrlichen Arbeit nachging und mit aufgezogenen Kopfhörern die Sportzeitung durchblätterte. Wie es schien, erhielten sie über die Gegensprechanlage die Erlaubnis, in die Wohnung hochzukommen. Der Pförtner wies ihnen mit einer mürrischen Handbewegung den Aufzug und grummelte »zweites Penthouse«, bevor er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ.
    Der Aufzug, in den Héctor und Leire traten, war so langsam und finster wie der Pförtner. Leire schaute in den dunklen Spiegel und stellte fest, dass ihr die schlechte Laune schon anzusehen war. So neugierig sie auch darauf gewesen war, Inspektor Salgado kennenzulernen, an seiner Seite zu arbeiten konnte eine Strafe sein. Als sie aus der Schule kamen, hatte sie ihm zu schildern versucht, welchen Eindruck die Aussagen des Lehrers auf sie gemacht hatten, aber das Ergebnis war gleich null gewesen. Abgesehen von seinen einsilbigen Antworten hatte Salgado die ganze Fahrt nur aus dem Fenster geschaut, in einer Haltung, die deutlich zeigte, dass er seine Ruhe wollte. Und jetzt ging das Spiel weiter. Er hatte ihr höflich den Vortritt gelassen, als sie an die Portiersloge und dann in den Aufzug traten, doch sein Gesicht, das sie verstohlen betrachtete, war immer noch undurchdringlich.
    Gina Martí empfing sie an der Tür. Man musste keine besondere Beobachtungsgabe haben, um zu sehen, dass sie vor kurzem geweint hatte: die Nase gerötet, glasige Augen. Hinter ihr stand ein junger Mann mit ernster, respektvoller Miene, den Leire sofort als Aleix Rovira identifizierte.
    »Meine Mutter kommt gleich«, sagte das Mädchen, nachdem

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