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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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dann stellte er noch eine Frage, als fiele ihm gerade ein, dass er etwas vergessen hatte: »Und das Mädchen? Wie hieß sie noch gleich ...?«
    »Gina Martí«, soufflierte Leire.
    Die Miene des Lehrers hellte sich auf.
    »Gina ist ein Schatz. Etwas unsicher, allzu behütet, aber klüger, als sie denkt. Sie hat ein großes Talent zum Schreiben. Von ihrem Vater geerbt, nehme ich an.«
    »Ihrem Vater?« Héctor versuchte sich zu erinnern, ob in dem Bericht etwas darüber stand.
    »Sie ist die Tochter von Salvador Martí. Dem Schriftsteller.«
    »War sie auch mit Marc und Aleix befreundet?«
    »Mit Marc war sie, glaube ich, seit ihrer Kindheit befreundet, auch wenn sie ein Jahr jünger ist. Sie kam in der Oberstufe hierher, als er das erste Jahr wiederholte. Und Aleix hat sie in seinen Kreis aufgenommen, um seinem neuen Freund zu gefallen. Jedenfalls ist sie Marc zwei Jahre lang gefolgt wie ein Hündchen. In ihrem letzten Jahr dann, ohne Aleix und Marc, war sie sehr viel konzentrierter. Es hat ihr gutgetan, das zweite Jahr der Oberstufe zu wiederholen, was sich auch bei der Eignungsprüfung gezeigt hat. Sie war so froh, als wir ihr die Note mitgeteilt haben ... Jetzt wird sie am Boden zerstört sein. Sie ist ein sehr sensibles Mädchen.«

9
    Als es klingelte, schlug Gina die Augen auf. Sie lag noch ganz benommen auf den Laken und brauchte ein paar Sekunden, ehe sie reagierte. Zwanzig nach vier. Hatte ihre Mutter nicht etwas von fünf Uhr gesagt? Es klingelte Sturm, kurze Stöße, immer wieder. Ihr fiel ein, dass die Putzfrau um drei ging und sie allein zuhause war, so dass sie gleich barfuß die Treppe hinuntersprang und zur Tür lief. Bevor sie aufmachte, schaute sie in den Dielenspiegel. Himmel, sie sah fürchterlich aus. Ihr Bild noch im Blick, öffnete sie die Tür.
    »Na, meine Hübsche ... Hast du geschlafen?«
    »Aleix! Was machst du denn hier?« Sie war so verblüfft über den unerwarteten Besuch, dass sie sich nicht rührte.
    »Du glaubst doch nicht, ich lasse dich allein mit den Bullen.« Er lächelte, seine Stirn glänzte vom Schweiß. Er nahm die Sonnenbrille ab und zwinkerte ihr zu. »Lässt du mich jetzt rein oder was?«
    Sie machte Platz, und mit einem langen Schritt trat er über die Schwelle. Er trug ein verwaschenes blaues T-Shirt, weite, karierte Bermudashorts und war perfekt gebräunt. Neben ihm sah Gina aus wie eine Schwindsüchtige.
    »Du solltest dich anziehen, oder?« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er in die Küche. »Ich nehme mir was zu trinken, ja? Bin mit dem Fahrrad hier, ich verdurste.«
    Sie sagte nichts und ging langsam in ihr Zimmer hinauf. Bevor er hinterherkam, machte sie die Tür zu, auch wenn sie wusste, dass es ihn nicht aufhalten würde. Und tatsächlich, während sie noch überlegte, was sie anziehen sollte, stand er schon im Rahmen. Er lächelte immer noch, eine Dose Coca-Cola in der Hand.
    »Bist du schlecht gelaunt?« Er ging auf sie zu und kitzelte sie. Er roch nach Schweiß, sie wich zurück.
    »Lass mich ...«
    »Lass mich«, äffte er sie nach. Er gab ihr einen Kuss auf die Lippen. »Soll ich dich wirklich lassen? Soll ich gehen?«
    »Nein.« Die Antwort kam für sie selbst überraschend prompt. Nein, sie wollte nicht, dass er ging. »Aber warte draußen, bis ich angezogen bin.«
    Er hob die Hände, wie auf frischer Tat ertappt. Dann schloss er die Augen und lächelte weiter.
    »Ich verspreche dir, nicht zu gucken. Nur in der Erinnerung ...«
    »Mach, was du willst«, sagte sie und widmete sich wieder ihrer Kleidung, die gefaltet auf dem Stuhl lag. Sie nahm eine kurze Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit Ausschnitt und sehr kurzen Ärmeln. Dann zog sie rasch den Pyjama aus, doch bevor sie sich anziehen konnte, trat er von hinten an sie heran.
    »Ich gucke immer noch nicht, ich schwöre.« Er küsste sie, diesmal auf den Hals. Dabei strich er aus Versehen mit der kalten Dose über Ginas Haut, und sie zuckte zurück. »Schon gut ... ich lasse dich in Ruhe. Ich will ein braver Junge sein. Wie ich sehe, hast du die Kuscheltiere aussortiert. Wurde auch Zeit ...«
    Während Gina sich anzog, setzte er sich an ihren Rechner und gab etwas ein. Sie sah ihn verärgert an. Sie hasste es, wenn er einfach so an ihre Sachen ging; als gehörten sie ihm.
    »Gehen wir runter«, sagte sie. »Meine Mutter kann jeden Moment kommen.«
    »Eine Sekunde, ich schau nur eben auf Facebook.«
    Sie stellte sich hinter ihn. Und dann sah sie dieselbe Nachricht, die auch sie vor knapp einer Stunde

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