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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Mutter wollte nach ihrer Hand greifen, aber Gina zog sie zurück und wandte sich an den Inspektor, nun schon entschlossener. »Ja, haben wir. Wir haben getrunken, Musik gehört. Und in der Küche Pizza aufgebacken. Etwas Besonderes haben wir nie gemacht, aber wir waren zusammen. Das war das Besondere.«
    Héctor ließ sie reden und deutete seiner Begleiterin an, auch sie möge nicht unterbrechen.
    »Dann kam Aleix. Und wir haben gegessen. Und weiter getrunken. Und weiter Musik gehört. Wie sonst auch. Wir haben von den Prüfungen gesprochen, von Dublin, von Aleix’ Freundinnen. Wir waren schon lange nicht mehr zu dritt gewesen.«
    Reginas verwunderte Miene blieb Héctor nicht verborgen. Nur ganz kurz, ein leichtes Hochziehen der Augenbrauen, aber deutlich. Gina fuhr fort, jetzt wieder nervöser:
    »Dann kam ein Lied, das wir sehr mochten, und wir haben ziemlich wild getanzt und gesungen. Zumindest Aleix und ich, Marc war plötzlich still und hat sich wieder gesetzt. Aber wir haben weitergetanzt. Es war doch eine Party, oder? Das haben wir ihm gesagt, aber er war nicht in Stimmung ... Wir haben lauter gedreht, ich weiß nicht mehr, was gerade lief. Aleix und ich haben eine Weile getanzt, bis Marc auf einmal die Musik ausgemacht hat.«
    »Schien er wegen irgendetwas besorgt?«
    »Weiß ich nicht ... Seit seiner Rückkehr war er seltsam. In den beiden Monaten habe ich ihn kaum gesehen. Ich hatte genug mit der Schule zu tun, und er hat fast nie angerufen.«
    »Aber ...«, warf Regina ein. Ihre Tochter stoppte sie:
    »Dann hat Aleix gesagt, wenn die Party jetzt zu Ende ist, geht er. Sie haben gestritten. Mich hat das genervt, ich hatte mich wohl gefühlt, so wie früher. Und als Aleix ging, habe ich Marc gefragt, was mit ihm los ist.« Sie machte eine Pause und schien kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Er sagte, ›Du hast zu viel getrunken, morgen geht es dir dreckig‹ oder so was, und das stimmte, nehme ich an, aber ich war sauer und bin in sein Zimmer runtergegangen und habe gewartet ... Das heißt, ich musste mich übergeben und bin ins Bad, aber ich habe alles saubergewischt, und auf einmal war mir kalt und ich habe mich in sein Bett gelegt, weil sich alles drehte und ich richtigen Schüttelfrost bekam.« Die Tränen rannen ihr nun über die Wangen, und sie tat nichts, sie zurückzuhalten. Ihre Mutter legte den Arm um sie. Diesmal wehrte sie sich nicht dagegen. »Und das war’s. Als ich aufgewacht bin, war alles passiert.«
    Das Mädchen flüchtete sich jetzt wie ein Vögelchen in die Arme der Mutter. Regina hielt sie umschlungen, und zum Inspektor gewandt sagte sie streng:
    »Ich denke, das dürfte genügen. Wie Sie sehen, geht das alles meiner Tochter sehr nahe. Ich möchte nicht, dass sie die Geschichte immer wieder erzählen muss.«
    Héctor pflichtete ihr bei und sah Leire verstohlen an. Sie verstand immer noch nicht, was er mit diesem Blick sagen wollte, aber ohnehin würde Gina ihnen jetzt, im Schutze ihrer Mutter, nichts weiter erzählen. Und die Tränen mochten zwar ehrlich sein, doch an ihrer Körperhaltung hatte sie bemerkt, wie Gina sich nach den letzten Worten ihrer Mutter ein wenig entspannte. Sie wollte etwas sagen, aber Regina kam ihr zuvor:
    »Ich weiß noch genau, wie schrecklich der nächste Morgen war.«
    »Wie haben Sie von dem Vorfall erfahren?«
    »Glòria hat mich frühmorgens angerufen und es mir erzählt. Mein Gott! Ich wollte es nicht glauben ... Sie hat mir zwar gleich gesagt, dass es Gina gut geht, dass es der arme Marc war, der ... Aber beruhigt war ich erst, als ich sie sah.« Sie umarmte ihre Tochter noch fester.
    »Das ist verständlich«, sagte der Inspektor. »Haben Sie im Landhaus der Castells gefeiert?«
    Die Frau deutete ein spöttisches Lächeln an.
    »Gefeiert wäre übertrieben, Herr Inspektor. Belassen wir es bei einem einfachen Abendessen mit Freunden. Glòria ist ein Schatz und eine der organisiertesten Frauen, die ich kenne, aber Feste sind nicht gerade ihre Stärke.«
    »Wer war noch dort?«
    »Wir waren zu siebt: die Roviras, die Castells, mein Mann und ich, außerdem Enrics Bruder, der Pfarrer. Und Natàlia, klar. Die Adoptivtochter der Castells.«
    »Das heißt, alle haben sich früh zurückgezogen?«
    Falls Regina die Frage verunsicherte, ließ sie es sich nicht anmerken.
    »Früh? Das würde ich nicht sagen, mir kam der Abend endlos vor. Ich habe mich nicht mehr so gelangweilt seit dem letzten türkischen Film, in den Salvador mich geschleppt hat. Sie müssten

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