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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Héctor sich vorgestellt hatte. Sie schien sich zu fragen, ob es korrekter wäre, sie ins Wohnzimmer zu führen oder in der Diele zu warten. Aleix entschied für sie, übernahm die Rolle des Gastgebers und bat sie herein.
    »Ich bin nur kurz zu Besuch hier«, sagte er, als verlangte seine Anwesenheit eine Rechtfertigung. »Wenn sie mit ihr allein sprechen möchten, gehe ich.« Sein Ton war liebevoll beschützerisch. Doch das Mädchen blieb ernst, angespannt.
    Als sie im Wohnzimmer saßen, bemerkte Leire, wie Salgado Gina Martí anschaute, und zum ersten Mal an diesem Nachmittag entdeckte sie in den Augen des Inspektors ein Fünkchen Empathie. Und während er ihr im beruhigenden Ton erklärte, dass sie nur wegen einiger Fragen da seien, undAleix, der neben ihr stand, eine Hand auf ihrer Schulter, zustimmend nickte, betrachtete Leire das Wohnzimmer der Martís und stellte fest, dass es ihr überhaupt nicht gefiel. Überall Regale voller Bücher, der Tisch und die übrigen Möbel aus dunklem Holz, die Sessel und Stühle dunkelgrün gepolstert. Das ganze Interieur, wozu auch die überladenen Stillleben in ihren Goldrahmen und die in leichtem Ockerton gestrichenen Wände gehörten, verbreitete eine antiquierte, klaustrophobische Atmosphäre; angestaubt, auch wenn sie sicher war, dass sie mit dem Finger über den Tisch hätte streichen können, ohne ein Staubkörnchen aufzuwischen. Die Vorhänge, schwer und grün wie die Sessel, waren zugezogen, wodurch das Zimmer noch stickiger wirkte. In dem Moment hörte sie die letzten Worte des Inspektors.
    »Wir können natürlich gerne warten, bis deine Mutter kommt.«
    Gina zuckte nur die Achseln. Sie vermied es, ihr Gegenüber direkt anzuschauen. Es konnte Schüchternheit sein, sagte sich Leire, oder auch der Wunsch, etwas zu verbergen.
    »Ihr beide kanntet Marc schon länger, ja?«
    Bevor Gina antworten konnte, ergriff Aleix das Wort.
    »Vor allem Gina. Genau davon sprachen wir eben. Der Sommer ist wirklich seltsam ohne ihn. Und ständig geht es mir im Kopf herum, dass wir praktisch im Streit auseinandergegangen sind. Ich bin früher als gedacht gegangen, und dann habe ich ihn nicht wiedergesehen.«
    »Worüber habt ihr euch gestritten?«
    Aleix machte eine vage Geste.
    »Wegen einer Nichtigkeit. Ich weiß kaum noch, wie es angefangen hat.« Er sah zu seiner Freundin, als suchte er nach einer Bestätigung, aber Gina blieb stumm. »Marc war anders seit seiner Rückkehr aus Dublin. Sehr viel ernster, leicht gereizt. Über jede Kleinigkeit ärgerte er sich, und an dem Abendhatte ich die Nase voll. Es war Johannisnacht, und ich hatte einfach keine Lust mehr darauf. Klingt schrecklich im Nachhinein, ich weiß.«
    »Laut deiner Aussage bist du direkt nachhause gegangen.«
    »Genau. Mein Bruder war noch wach und hat es ja bestätigt. Ich war wegen des Streits schlecht gelaunt, ein wenig betrunken auch, ich habe mich gleich ins Bett gelegt.«
    Salgado nickte und wartete darauf, dass das Mädchen etwas hinzufügte, aber sie sagte nichts. Sie hatte den Blick auf einen Punkt am Boden geheftet und schaute erst auf, als sie hörte, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte und eine Stimme von der Diele aus rief:
    »Gina, Liebes ... Sind sie schon da?« Ein paar rasche Schritte, und Regina Ballester kam herein. »Meine Güte, was macht ihr denn hier im Dunkeln? Die junge Dame möchte, dass wir in einem Grab leben.« Ohne ihnen die geringste Beachtung zu schenken, lief die blonde Erscheinung zu den Vorhängen und zog sie auf. Licht flutete ins Zimmer. »Das ist doch schon besser.«
    Und das war es tatsächlich, nicht nur wegen des Lichts. So wie manche Menschen einen Raum ausfüllen und allein mit ihrer Gegenwart die Atmosphäre aufladen, hatte Regina Ballester im Nu eine muffige Bibliothek in einen leuchtenden Laufsteg verwandelt, auf dem sie selbst agierte wie ein Topmodel.
    Salgado war aufgestanden, um der Hausherrin die Hand zu geben, und in ihren Augen sah Leire einen geneigten, wenn auch vorsichtigen Blick.
    »Ich glaube, Sie kennen meine Kollegin Castro bereits.«
    Regina bejahte mit einer knappen Kopfbewegung. Die Kollegin Castro, das war klar, weckte in ihr kein allzu großes Interesse. Der frostigste Gruß aber galt zweifellos einem Besucher, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Aleix stand weiter neben Gina und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    »Ich mach mich dann auf den Weg. Ich wollte nur kurz bei Gina vorbeischauen.«
    »Vielen Dank, Aleix.« Es war offensichtlich, dass Regina

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